Chaos-Tage bei der Linken

Unfairness, schärfte Oskar Lafontaine seinen gut 500 Parteifreunden am Sonntag in der Saarbrücker ATSV-Halle ein, sei „die Grundlage des Misserfolgs“. Es sollte eine Warnung an all jene sein, die ihn für seinen Personalvorschlag Claudia Kohde-Kilsch gnadenlos auspfiffen und ausbuhten.

Auch die frühere Wimbledon-Gewinnerin selbst sah sich in ihrer Bewerbungsrede zu dem Appell genötigt, Fairplay solle nicht nur im Sport gelten, sondern in allen Lebensbereichen.

Was sich bei der Linken im Saarland zuletzt abspielte, hat mit Fairness allerdings nur noch begrenzt zu tun. In den Wochen vor der Versammlung soll eine Schmutzkampagne abgelaufen sein, die manchem Funktionär die Sprache verschlug. Es sind Chaos-Tage bei der Linken angebrochen, wobei der verkorkste Wahlkampfauftakt am vergangenen Sonntag eher Ausdruck als Ursache der Krise war. Man fragt sich, wie diese Partei im Saarland halbwegs geschlossen in den Bundestagswahlkampf ziehen will.

Selbst Oskar Lafontaine hat das Chaos nicht in den Griff bekommen - ein Zeichen dafür, dass er in organisatorischer Hinsicht nach innen längst nicht (mehr) die Autorität besitzt, die er in programmatischen Fragen, jedenfalls in seinem saarländischen Landesverband, ohne Zweifel bis heute hat. Pfiffe, Buhrufe, bei der Listenaufstellung nur knapp 20 Prozent für seine Wunschkandidatin - vor wenigen Jahren noch wäre das alles in der Saar-Linken undenkbar gewesen.

Zu diesem Chaos hat Oskar Lafontaine selbst seinen Beitrag geleistet, indem er Claudia Kohde-Kilsch ins Rennen um Listenplatz eins schickte - eine Seiteneinsteigerin, die weder über eine Hausmacht in der Partei verfügt noch unter den Funktionären vernetzt ist. Sie hat nur: Oskar Lafontaine. Kohde-Kilschs Niederlage muss man deshalb in erster Linie ihrem Förderer anlasten.

Es scheint - jedenfalls lässt das Ergebnis von Sonntag diesen Schluss zu -, als habe Lafontaine den Draht zur eigenen Basis verloren. Wie sonst ist es zu erklären, dass er die Stimmungslage dermaßen falsch eingeschätzt hat? Bedenken mehrerer Mitstreiter aus der ersten und zweiten Reihe der Partei schlug er in den Wind. Seine großen Wahlerfolge der Vergangenheit und die Gewissheit, dass ihm in der saarländischen Linken kein Zweiter seines politischen, rhetorischen und intellektuellen Kalibers nachfolgen wird, haben ihn anscheinend beratungsresistent gemacht. Ein gewisser Realitätsverlust nach Jahrzehnten an der Spitze ist im politischen Betrieb nichts Ungewöhnliches. Doch beinahe tragisch ist, dass ausgerechnet der Mann, der die Linke im Saarland groß gemacht und zu sensationellen Wahlerfolgen geführt hat, nun mitten im Wahlkampf gegen ihre Spaltung kämpfen muss.

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