Castor und St. Florian

Meinung · Wer sich der Problematik der Atomkraft bewusst werden will, muss nur eine Frage beantworten: Möchte man selbst (mit seiner Familie) in der Nähe eines Reaktors oder Endlagers leben? Die Antwort dürfte mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit "Nein" heißen. Es ist übrigens die einzige Sicherheit, die im Umfeld des komplexen Themas Kernenergie eine verlässliche Größe darstellt

Wer sich der Problematik der Atomkraft bewusst werden will, muss nur eine Frage beantworten: Möchte man selbst (mit seiner Familie) in der Nähe eines Reaktors oder Endlagers leben? Die Antwort dürfte mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit "Nein" heißen. Es ist übrigens die einzige Sicherheit, die im Umfeld des komplexen Themas Kernenergie eine verlässliche Größe darstellt. Gut möglich, dass der aktuelle Widerstand gegen die berühmt-berüchtigten "Castor"-Transporte im Wendland (östlich von Lüneburg) den Beginn einer neuen Protest-Ära markiert. Nachdem es in den letzten Jahren deutlich ruhiger wurde und die Szene nach dem offiziellen Ausstieg der Bundesrepublik aus der Atomkraft erstmal besänftigt schien, strahlt die Protestbewegung wieder neue Kraft aus. Die Grünen, deren Sonnenblumen auch schon mal heller leuchteten, jubilieren bereits über die "Renaissance des Widerstands". Die Polizei klagt über zunehmende Gewaltbereitschaft der Demonstranten, und diese wiederum nehmen widrigste Umstände und Unannehmlichkeiten in Kauf, um die gefährliche Fracht zu torpedieren. Die früher gern "Chaoten" genannten Protestler - damals meist aus dem studentischen Milieu, heute oft aus bürgerlichen Schichten - tun dies auch im Interesse eines Großteils der Gesellschaft. Die Atomkraft hat nur noch wenige Befürworter, der ehemalige Traum von der "sauberen" Energie ohne CO2-Belastung ist längst ausgeträumt und einer durchaus rationalen Angst gewichen. Dabei wäre eine gewisse Akzeptanz sogar noch vorhanden - wenn die entscheidende Frage der (End-)Lagerung gelöst wäre. Aber das ist der Knackpunkt: Auf der gesamten Welt gibt es nicht ein einziges Endlager, das den extrem hohen Ansprüchen einer dauerhaften Sicherheit genügen würde. Mit welcher Berechtigung verlangt dann die Politik von den betroffenen Bürgern, ausgerechnet in ihrem Wohnkreis die Erkundung und Einrichtung eines Lagers zu tolerieren? Wie ernst diese Frage ist, verdeutlicht auch die Debatte um andere mögliche Standorte jenseits von Gorleben. CDU und CSU, der Atomkraft im Kern nicht abgeneigt, weigern sich vehement, nach Lagerstätten in Süddeutschland (wo sie regieren) auch nur suchen zu lassen. Das ist verräterisch und beleuchtet grell das ganze Dilemma nach dem heuchlerischen Prinzip: "Lieber heil'ger Florian, verschon' mein Haus, zünd' and're an". Gorleben ist seit über 20 Jahren Symbol des Widerstands gegen eine Energie, die zu schön ist, um wahr zu sein. Der Protest wird erst abebben, wenn die Politik mit klaren und sauberen Antworten reagiert.

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