Bürger am Gängelband

Meinung · Die EU-Kommission hat schon Recht: Eine Verpackung sollte nicht verführen und in die Irre leiten. Aber diese Wahrheit gilt eben nicht nur für Zigarettenschachteln, sondern auch für politische Programme wie etwa eine Tabak-Richtlinie. Was der neue Gesundheitskommissar Tonio Borg da gestern vorgelegt hat, kommt einer Bankrott-Erklärung der bisherigen Brüsseler Nikotin-Strategie gleich

Die EU-Kommission hat schon Recht: Eine Verpackung sollte nicht verführen und in die Irre leiten. Aber diese Wahrheit gilt eben nicht nur für Zigarettenschachteln, sondern auch für politische Programme wie etwa eine Tabak-Richtlinie. Was der neue Gesundheitskommissar Tonio Borg da gestern vorgelegt hat, kommt einer Bankrott-Erklärung der bisherigen Brüsseler Nikotin-Strategie gleich. Wenn Warnhinweise wie "Rauchen kann tödlich sein" nicht fruchten, sollen eben Ekel-Fotos her. Man muss die Menschen schon für unfassbar dumm halten, wenn man sie nach wirkungslosen schriftlichen Mahnungen nunmehr mit abstoßenden Bildchen auf die gewünschte Linie zu bringen versucht.Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass Rauchen eines der größten gesundheitlichen Risiken ist, das man auch noch selber von heute auf morgen abstellen kann. Aber um solche seriöse Gesundheitspolitik geht es nicht. Der Kampf gegen den blauen Dunst ist zum Vehikel geworden, mit dem man eine grundsätzliche Bevormundung der Verbraucher voranzutreiben versucht. Was kommt als nächstes? Bilder von adipösen Zeitgenossen auf Chips-Tüten? Fotos von alkoholisierten Jugendlichen auf jeder Bierflasche? Diese Beispiele sind ebenso lächerlich wie alle anderen Versuche, mit denen sich die EU zur Übermutter von 500 Millionen Verbrauchern aufschwingen will.

Natürlich kann - vielleicht sogar: muss - eine Gesellschaft sich wehren, wenn einige auf Kosten der Sozialgemeinschaft ein derartiges gesundheitliches Risiko auf sich nehmen. Aber dann bedarf es fundamentaler, struktureller Korrekturen dort, wo die "Sünder" zum Problemfall für ihre Umgebung werden. Beispielsweise Krankenversicherungs-Tarife, die solches Verhalten bestrafen. Wer heute eine Lebensversicherung abschließt, wird mit Hilfe zuverlässiger Tests nach seinem Nikotinkonsum befragt und muss im Fall eines Nachweises höhere Prämien zahlen. Ein vernünftiger Weg, der zudem jeden Raucher zum Nachdenken bewegt. Mit ähnlichen Modellen könnte man in der Berufswelt Raucher sanktionieren, die überdurchschnittliche Fehlzeiten und krankheitsbedingte Ausfälle anhäufen.

Die Reform der Tabak-Richtlinie inmitten einer der größten Krisen dieser Union zeigt, wie sehr sich die EU von ihrem eigentlichen Auftrag entfernt hat. Einen Gesetzgeber, der seine Bevölkerung bevormundet, braucht niemand. Europa sollte sich lieber um die Kernfragen kümmern, die die Staaten alleine nicht lösen können: Wirtschaft und Währung, Außenpolitik, Klimaschutz, Binnenmarkt. Ob die Menschen zur Zigarette greifen oder nicht, können sie in ihren Ländern selber entscheiden. Diese EU hat jedenfalls genügend andere Probleme, bei deren Lösung sie bisher versagt hat.

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