Brüssel erwartet lange Nacht und wie immer nur Gewinner

Brüssel. Europa blickt heute nach Brüssel. Ab dem Nachmittag verhandeln die 27 Staats- und Regierungschefs darüber, wie viel Geld die Union zwischen 2014 und 2020 für Landwirte, Studenten, Infrastruktur-Projekte und Forschung ausgeben darf. Regierungskreise in Berlin machten gestern klar, man sei "bereit, solidarisch zu sein"

Brüssel. Europa blickt heute nach Brüssel. Ab dem Nachmittag verhandeln die 27 Staats- und Regierungschefs darüber, wie viel Geld die Union zwischen 2014 und 2020 für Landwirte, Studenten, Infrastruktur-Projekte und Forschung ausgeben darf. Regierungskreise in Berlin machten gestern klar, man sei "bereit, solidarisch zu sein". Aber mehr als ein Prozent des Nationaleinkommens will Berlin nicht an Brüssel abtreten. Hochgerechnet auf alle 27 Mitglieder wären das für sieben Jahre 960 Milliarden Euro.Der Entwurf von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy sieht 971,9 Milliarden vor. Kürzungen um weitere 15 Milliarden sollen möglich sein, hieß es gestern in Brüssel. Allzu groß sind die Unterschiede nicht. Doch die unangenehmen Botschaften stecken im Detail. Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet bereits fest damit, mit einer schlechten Nachricht nach Hause zurückzukommen. Denn Deutschland wird zwar nicht mehr als bisher (rund 21 Milliarden pro Jahr) an die EU überweisen, aber deutlich weniger als derzeit (etwa zwölf Milliarden) zurückbekommen, weil die Förderung der Regionen im Osten in den kommenden Jahren ausläuft. Das Geld aus dem lukrativen Topf für die regionale Entwicklung fließt bis 2020 vorrangig in den Osten und Süden der Gemeinschaft. Frankreichs Staatspräsident François Hollande hat sich bereits als Fürsprecher Griechenlands, Italiens, Spanien und Portugals in Stellung gebracht. "Einschnitte ja, aber genügend Finanzmittel für Wachstum" lautet sein Motto. Er weiß die Mehrheit hinter sich. Es handelt sich ausnahmslos um Netto-Empfänger.

94 Prozent der europäischen Gelder werden in Brüssel umverteilt, fließen also wieder an die Mitgliedstaaten zurück. Rund 460 Milliarden sollen dabei ab 2014 für die Verbesserung der Infrastruktur sowie soziale Mittel ausgegeben werden - 43 Milliarden weniger als zwischen 2007 und 2013. Zweitgrößter Brocken sind die Agrarausgaben, für die Van Rompuy 372 Milliarden (minus 17,7 Milliarden) eingeplant hat. 62,6 Milliarden verschlingt die Verwaltung. Kürzungen sind hier bislang nicht vorgesehen, aber zweifellos unvermeidbar.

Diese überkommene Struktur des Finanzrahmens ist vielen Gipfel-Teilnehmern ein Dorn im Auge. Sie drängen - wie Deutschland - darauf, vor allem für Forschung und Innovation Mittel bereitzustellen, was ohne weitere Einschnitte bei den beiden großen Ausgabenblöcken nicht möglich ist. Die aber werden nicht nur von kleinen Mitgliedstaaten, sondern auch von Schwergewichten wie Frankreich und Italien verteidigt. Van Rompuy hat da allerdings noch einen Trumpf in der Hand. Im Fall einer Einigung auf seinen Entwurf, den er heute wohl in verbesserter Form vorlegt, will er ein Sonderprogramm zur Finanzierung von Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche drauflegen.

Das ist vor allem deshalb ein geschickter Schachzug, weil damit Kürzungen im so genannten Kohäsionsfonds, aus dem die EU-Sozialprojekte finanziert, aufgefangen werden könnten. Das würde es leichter machen, Einschnitten in diesem Bereich zuzustimmen. Die Nacht der langen Messer dürfte sich hinziehen. Ausgedehnte Pausen hat der Ratspräsident nicht vorgesehen. Verhandelt werde bis zum Ende, ließ er verbreiten. Das Brüsseler Ritual sieht danach übernächtige, aber glückliche Gesichter und lauter Gewinner vor.

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