Brüderle eckt mit eigener Vision vom Aufschwung an

Berlin. Bisher hat Wirtschaftsminister Rainer Brüderle eher passiv vom Aufschwung gezehrt ("Aufschwung XL"). Seine Bedeutung in der Regierung und seine Beliebtheit im Volk wuchsen, obwohl das Wachstum kaum auf seine Entscheidungen zurückzuführen war. Nun geht er zur aktiven Gestaltung über

Berlin. Bisher hat Wirtschaftsminister Rainer Brüderle eher passiv vom Aufschwung gezehrt ("Aufschwung XL"). Seine Bedeutung in der Regierung und seine Beliebtheit im Volk wuchsen, obwohl das Wachstum kaum auf seine Entscheidungen zurückzuführen war. Nun geht er zur aktiven Gestaltung über. Gestern legte der FDP-Politiker ein Grundsatzpapier zur Industriepolitik vor, einen regelrechten Aufgabenkatalog, um Deutschlands starke Stellung im verarbeitenden Gewerbe dauerhaft zu halten. Eine langfristige durchschnittliche Wachstumsrate von zwei Prozent gibt der Minister als Ziel vor. Derzeit sind es im Durchschnitt der Jahre 1,25 Prozent. Nicht alle seiner Ideen dürften jedoch unstrittig sein, auch nicht im eigenen Lager.So wiederholt Brüderle in seinem Papier den Vorschlag, qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland durch ein Punktesystem nach Deutschland zu holen. Dagegen haben sich die Parteivorsitzenden seiner beiden Koalitionspartner, Kanzlerin Angela Merkel für die CDU und Horst Seehofer für die CSU, bereits entschieden ausgesprochen. Den Fachkräftemangel markiert der Wirtschaftsminister als wichtigstes Problem für eine erfolgreiche industrielle Zukunft. Wegen des Fehlens von Ingenieuren habe es im Jahr 2009 schon einen Wertschöpfungsverlust von 3,4 Milliarden Euro gegeben. Auch eine zweite Forderung Brüderles dürfte in den Unionsparteien mindestens umstritten sein: Sein Aufruf, der "Blockadementalität" gegenüber neuen Technologien entgegenzutreten. Das sagt so zwar auch Kanzlerin Angela Merkel, etwa wenn es um "Stuttgart 21" geht, bei der von Brüderle angesprochenen Zulassung der Genkartoffel Amflora jedoch scheiden sich auch in der Union die Geister. Und bei der Stammzellenforschung überwiegt in den christlichen Parteien klar das Nein. Brüderles strikte Absage an staatliche Einflussnahmen auf die Wirtschaft ("nur im äußersten Notfall") ist ebenfalls nicht immer schwarz-gelber Konsens, wie sich bei Opel oder den Steinkohlesubventionen gezeigt hat. Ansonsten aber spiegelt Brüderles Versuch, der Wirtschaftspolitik eine Leitidee zu geben, durchaus die Grundsätze der Koalition wieder. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Werner Schnappauf, sagte, das Konzept zeige "eine klare ordnungspolitische Handschrift". Mit leicht triumphierendem Unterton ("Industrie ist wieder in") weist der Minister in dem Papier darauf hin, dass Deutschland durch seinen hohen Industrialisierungsgrad (23,1 Prozent an der Bruttowertschöpfung) die Krise weit besser überstanden habe als etwa Großbritannien (12,3 Prozent) oder die USA (13,3 Prozent), die mehr von der Finanzwirtschaft und Dienstleistungen leben. Die alte Empfehlung, auch in Deutschland auf Dienstleistungen zu setzen, habe sich als falsch erwiesen. Deutschlands Wohlstand liege auch künftig in seiner innovativen und hochspezialisierten Industrie. Vorteile habe das Land durch die ausgewogene Größenstruktur der Unternehmen, die Weltmarktführerschaft vieler Mittelständler in ihren Nischen und die Vorreiterrolle beim Umwelt- und Klimaschutz. Nachteile seien die hohen Arbeitskosten, der Fachkräftemangel und die Gefahr "einseitiger Belastungen" durch zu hohe Klima- und Umweltauflagen. Bei Umweltanliegen müssten daher Aufwand und Ertrag nüchtern abgewogen werden, mahnte Brüderle. "Sonst rauchen die Schornsteine anderswo".

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