Britischer Balanceakt

Nichts ist unmöglich, findet David Cameron . Nicht einmal die EU zu reformieren? Der britische Premier gab sich gestern bei der Vorstellung seiner Wunschliste selbstbewusst und kämpferisch. Er schwor seine Landsleute auf die Bedeutung ihrer Abstimmung beim EU-Referendum ein und wandte sich mit scharfer Rhetorik gen Brüssel.

Die Partnerstaaten sollen wissen, wie ernst es ihm ist. Sie sollen wissen, dass er nicht blufft. Sie sollen wissen, dass sich das Königreich aus dem Verbund verabschiedet, wenn der britische Sonderschüler nicht bekommt, was er will. Die Strategie, auf die sich der Regierungschef festgelegt hat, birgt jedoch große Risiken. Es ist ein Balanceakt. Was, wenn Europa nicht willens ist, Großbritannien weitere Extrarechte einzuräumen? Einige Punkte werden relativ einfach durchzusetzen sein, und zu gewissen Teilen könnte die EU das Aufbäumen der Briten auch als Chance betrachten. Von einer Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit etwa würden alle Mitgliedstaaten profitieren, vorneweg Deutschland. Ein Abbau der Bürokratie wäre ebenfalls wünschenswert. Doch einen Konsens bei der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu finden, könnte zu Recht zum Mammutprojekt ausarten.

Die härteste Nuss wird Cameron bei den Osteuropäern zu knacken haben. Insbesondere in Polen, woher viele Migranten im Königreich stammen, dürfte großer Widerstand aufbranden gegen den Plan, Sozialleistungen für EU-Einwanderer zu beschränken. Doch ohne Reform-Erfolge, insbesondere beim Reizthema Immigration, braucht Cameron überhaupt nicht nach Hause zu kommen. Die Atmosphäre auf der Insel gegenüber dem Kontinent ist angespannt. Die konservativen Medien wettern gegen Einwanderung. Selbst innerhalb der Tory-Reihen wollen viele raus aus der EU. Die Austrittsbefürworter stehen mit den Füßen scharrend in den Startlöchern, um Erfolge von Cameron als kosmetische Änderungen abzutun. Das ist auch der Grund, warum der Brief an Donald Tusk wirkliche Details vermissen lässt. Selbst Erbsenzähler werden kaum neue Erbsen finden. Doch der Premier stand unter Druck. Hätte er zu viele Einzelheiten preisgegeben, hätte das einerseits seine Verhandlungsposition mit den Mitgliedstaaten geschmälert und ihn andererseits zur Geisel der Brexit-Kampagne gemacht.

Ein Problem könnte für Cameron der Zeitpunkt werden. Derzeit treibt die Herausforderung des Flüchtlingsansturms die politische Klasse auf dem Kontinent um und wichtige Verhandlungspartner für Reformen wie Deutschland und Frankreich beschäftigen angesichts der Flüchtlings- sowie der Griechenlandkrise andere Sorgen als die Lösung der britischen Frage - abgesehen davon, dass sich London bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise bislang nicht gerade als hilfreicher Partner hervorgetan hat.

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