Briten-Premier will „harte“ Scheidung von EU

London · Noch bevor klar war, wann die britische Premierministerin Theresa May die Pläne für den EU-Ausstieg in einer Grundsatzrede darlegen wollte, wurde im Königreich bereits wild spekuliert, was sie verkünden würde. Heute will sie nun endlich Details für die anstehende Scheidung preisgeben. Denn selbst sechs Monate nach der Amtsübernahme Mays weiß noch immer niemand nichts. Regelmäßig wird der Regierungschefin Planlosigkeit vorgeworfen. Viel ist von einem "harten" oder "weichen" Brexit die Rede, als wäre Brexit eine Käsesorte. Dann erklärte May, sie bevorzuge eine Scheidung von Brüssel in "rot, weiß und blau". Wie seit Monaten blieb sie Zuhörern eine Erklärung schuldig, was das bedeute.

Heute soll sich das ändern. Dem Medienchor auf der Insel zufolge strebt sie einen harten, wahlweise auch als sauber bezeichneten Bruch mit der EU an, was so viel heißt wie: Ausstieg aus dem EU-Binnenmarkt, aus der Zollunion und eine Abkehr vom Europäischen Gerichtshof. Die Regierung will die Personenfreizügigkeit von Einwanderern aus EU-Staaten beenden, um wieder die Kontrolle der Migrationspolitik zurückzugewinnen. Das war das bestimmende Argument vieler Austrittsbefürworter und May scheint sich deren Druck zu beugen.

Sollte es wirklich zum Konfrontationskurs mit Brüssel kommen, wie spekuliert wird, dürfte May Gegenwind von EU-Freunden auf der Insel erhalten. Diese werben für einen weichen Brexit. Die Rufe stammen aus der Wirtschaftswelt. Banken, Konzerne und Dienstleister warnen vor den dramatischen Auswirkungen, sollten die Briten die Mitgliedschaft im Binnenmarkt aufgeben. Auch Schatzkanzler Philip Hammond betonte stets dessen Sinn, doch hat er als pro-europäischer Minister einen schweren Stand innerhalb der konservativen Partei. Nun zog auch Hammond mit der Keule auf den Kontinent. Seine Regierung werde bei einem fehlenden Zugang zum EU-Markt sein Wirtschaftsmodell überdenken, um die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft zu erhalten, sagte der Finanzminister in einem Interview mit der "Welt".

Es ist nicht das erste Mal, dass London andeutet, den Weg hin zu einem Steuerparadies mit gesenktem Körperschaftssteuersatz einschlagen zu wollen. So hatte es aus Downing Street bereits in der Vergangenheit geheißen, niedrigere Steuersätze für Unternehmen könnten ein mögliches Instrument nach dem EU-Ausstieg sein. Zudem betonte Hammond, auch Mercedes-Benz , BMW und VW wollten weiter ihre Autos auf dem britischen Markt verkaufen können, "ohne Zölle zu zahlen".

Oppositionschef Jeremy Corbyn nannte die Bemerkungen des Schatzkanzlers ein "Rezept für einen Handelskrieg mit Europa". Auch in Deutschland sorgten die Andeutungen für Verwunderung. "Die beiden großen ökonomischen Schwächen Großbritanniens sind das beachtliche Handelsdefizit und das große Haushaltsdefizit", sagte CDU-Politiker Norbert Röttgen . Hammonds "Drohungen" mit Zöllen und Steuersenkungen seien darum "Drohungen mit Selbstbeschädigung und als solche Ausdruck britischer Ratlosigkeit".

Bis Ende März will May Artikel 50 des Lissabonner EU-Vertrags aktivieren und damit den auf zwei Jahre beschränkten Austrittsprozess einleiten.

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