Unterhaus-Präsident John Bercow tritt ab Britische Polit-Manege verliert den Zirkusdirektor

London · Seine markanten „Ordeeer“-Rufe werden fehlen. Der kleine John Bercow hat sich mitten im Brexit-Streit nicht nur mit seiner markanten Stimme zur großen Kultfigur gemausert.

 John Bercow brachte als Präsident des Unterhauses die Konsvervativen gegen sich auf.

John Bercow brachte als Präsident des Unterhauses die Konsvervativen gegen sich auf.

Foto: dpa/House Of Commons

Am heutigen Donnerstag ist sein letzter Tag als Präsident des Unterhauses; er hat nach über zehn Jahren genug. Irgendwann sei mal Schluss. Er habe es seiner Frau Sally und den drei Kindern versprochen, sagte der umtriebige „Speaker of the House of Commons“.

An Bercow scheiden sich die Geister: Die einen lieben ihn über alles und loben seine Art, das Unterhaus in die richtigen Bahnen zu lenken, wenn es wieder mal so richtig hoch hergeht. Selbst im Ausland hat er viele Fans. Die anderen halten ihn für einen viel zu europafreundlichen Politiker, der sogar eine mehr als 400 Jahre alte Regel herauskramte, um eine Entscheidung zum Brexit-Abkommen der früheren Premierministerin Theresa May zu begründen. Als Speaker leitet Bercow die Debatten im Unterhaus und passt unter anderem auf, dass die Parlamentarier nicht gegen Regeln verstoßen.

Anhaben konnten ihm seine Kritiker aber nichts. Im Gegenteil: Seine eigene Rolle im Drama um den EU-Auftritt gefiel dem Exzentriker sichtlich, der oft wie ein Zirkusdirektor in der Manege wirkte. Seine „Waffen“ waren stets die Rhetorik, die er von seinem Vater, einem Taxifahrer, gelernt hat, und seine Gewieftheit. So wurde er auch von seinen Gegnern wahrgenommen. Seinen Vorgängern – Bercow ist der 157. Speaker – erging es mitunter anders: Einige wurden geköpft.

Auch die ganz Großen machten Bercow keine Angst, jedenfalls nicht erkennbar. So bekam er denn auch viel Beifall für seine Ankündigung, Donald Trump bei einem Staatsbesuch nicht im Parlament zu empfangen. Selbst wenn er in harte Auseinandersetzungen im Parlament eingriff, war immer noch ein verschmitztes Grinsen auf seinem Gesicht zu erkennen. Nur bei seiner Rücktrittsankündigung wirkte er emotional: „Während meiner Zeit als Sprecher habe ich versucht, die relative Autorität des Parlaments zu erhöhen, wofür ich mich absolut bei niemandem, nirgendwo, zu keiner Zeit entschuldigen werde.“

Bercow redet „zu gern und im Zweifel zu viel“, wie er einräumte. Schon als Kind las er Zeitung und protestierte gegen das Schulessen. Die spätere Premierministerin Margaret Thatcher überzeugte den Jungen, den Konservativen beizutreten. Bercow entwickelte sich aber eher zum Partei-Rebellen, auch äußerlich. Neben seinem Redetalent fiel er auch durch schrille Krawatten auf. Auf die damals übliche Perücke des Präsidenten verzichtete Bercow.

Doch es gab auch Vorwürfe von Ex-Mitarbeitern gegen den 56-Jährigen, die behaupteten, er habe sie vor anderen angeschrien. Für Aufsehen sorgte auch sein Familienleben: Ehefrau Sally, die Bercow um einen Kopf überragt und eine Anhängerin der oppositionellen Labour-Partei ist, fiel mit erotischen Fotos und frivolen Äußerungen auf. Ihr Einzug ins Big-Brother-Haus löste bei ihrem Mann keine Begeisterung aus – er flüchtete auf eine Reise nach Indien.

Sein letzter Arbeitstag als Präsident wird für Bercow ziemlich normal verlaufen, wie eine Sprecherin seines Büros sagte. Der Vorsitzende des Unterhauses, Jacob Rees-Mogg, und andere wollen ihm zum Abschied wohlwollende Worte mit auf den Weg geben. „Bercow wird seinen letzten Tag gegen 18.00/18.30 Uhr (MEZ) beenden“, so die Sprecherin. Am Montag soll seine Nachfolge gewählt werden. „Acht bis zehn Personen haben Interesse bekundet.“

Da die Regierung Boris Johnson keine Mehrheit im Unterhaus hat, dürfte sie wieder mit einem für sie unangenehmen Präsidenten konfrontiert werden. Wer immer es wird: Der nächste Speaker wird in große Fußstapfen treten müssen.

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