Blutiges Dilemma in Syrien

Das Fiasko war absehbar: Erst bombardierten Flugzeuge der US-geführten Koalition Truppen des Assad-Regimes, dann warfen die USA Moskau und Damaskus vor, einen Konvoi mit Hilfsgütern für die Menschen in Aleppo gezielt angegriffen zu haben. Danach eskalierte die Gewalt in Syrien erst recht. Nun hat das Weiße Haus entschieden, sich mit der Rolle des Zuschauers zu begnügen. Dass es die Syriengespräche mit Russland abbricht, ist ein Akt des Protests. Am Blutvergießen vor Ort ändert er nichts.

Es wäre einfach, angesichts der Hilflosigkeit den Stab über Barack Obama zu brechen. Kein Zweifel, das Blutvergießen in Syrien hängt wie ein dunkler Schatten über seiner Präsidentschaft. Vielleicht wird er eines Tages die Reue eines Bill Clinton empfinden, seines Vorvorgängers im Oval Office, der sich im Nachhinein nicht verzeihen konnte, dass er den Völkermord in Ruanda geschehen ließ. Womöglich haben all jene recht, die Obama spätestens im zweiten Jahr des Bürgerkriegs aufforderten, gemäßigte Rebellen aufzurüsten, um Assad Paroli zu bieten und zu verhindern, dass radikalislamische Fanatiker in der Opposition an Einfluss gewinnen. Hillary Clinton gehörte zu denen, die damals mahnten. Vielleicht wird sie heute stille, späte Genugtuung empfinden - und, falls sie denn im November ins Weiße Haus gewählt wird, die Weichen neu stellen.

Gewiss, der frühere Rechtsprofessor Obama, der von seinem Naturell her zu vorsichtigem Abwägen neigt, legt mit Blick auf Syrien eine Vorsicht an den Tag, die an Verzagtheit grenzt. Doch bei aller Kritik: Er weiß sich in Übereinstimmung mit einer Mehrheit seiner Wähler. Er spricht in ihrem Namen, wenn er betont, dass er die USA aus neuen nahöstlichen Abenteuern heraushalten will.

Nur 13 Jahre nach dem Einmarsch im Irak mit all seinen desaströsen Konsequenzen ist die amerikanische Demokratie nicht bereit, erneut in großem Stil Truppen nach Nahost zu schicken. Man hat sich einmal die Finger verbrannt und wird es ein zweites Mal so schnell nicht tun. Das Dilemma bedeutet, dass Russland, Assad und der Iran mit ernsthaftem Widerstand aus Washington kaum rechnen müssen. Es bedeutet aber auch, dass es zu geduldiger, aufreibender, mit Rückschlägen verbundener Diplomatie keine vernünftige Alternative gibt - auch wenn sie fürs Erste gescheitert sein mag. Denn auch Putin dürfte es nicht gelingen, eine militärische Lösung zu Gunsten seines Protegés durchzusetzen. Und ähnlich wie den Amerikanern steckt auch ihm eine bittere Erfahrung in den Knochen, eine Erfahrung aus Sowjetzeiten. Sich mit Syrien ein zweites Afghanistan aufzubürden, auf Jahre Kräfte zu binden, im Morast zu versinken, das wird auch Putin nicht wollen.

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