Bittere Realität statt Normalität

Es ist eine bittere Normalität, zu der die EU wieder zurückkehren will: Die Lasten für die Flüchtlinge, die den Sperrschirm der europäischen Küsten- und Grenzwache überwinden und deren Boote sogar an den Nato-Patrouillen vorbeikommen, werden den südlichen Küstenstaaten aufgebürdet. Griechenland soll innerhalb der nächsten dreieinhalb Monate einen Zustand schaffen, der die menschenwürdige Aufnahme der Hilfesuchenden und die Bearbeitung der Asylanfragen mit rechtsstaatlichen Garantien sicherstellt. Woher dieser Qualitätssprung der hellenischen Auffanglager kommen soll, ist offen. Aber die EU hat ein Druckmittel: Sollte Athen den Stichtag nicht schaffen, fliegt es für ein Jahr aus dem Schengen-Raum.

Das hat nichts mit Normalität zu tun. Es ist die bittere Realität dieser nur vermeintlich solidarischen Völkerfamilie, bei der einige von Schwierigkeiten erdrückt werden, während andere tun, als ginge sie das nichts an.

Die Union hat sicher vieles erreicht: Der gemeinsame Küsten- und Grenzschutz steht. Ein neues Kontrollsystem für Einreisende aus Drittstaaten wurde vereinbart, die Lücken in den Grenzen werden in Kürze geschlossen. Die Türkei hat man in die gemeinsame Strategie zur Abwehr von Schlepper-Geschäften eingebunden. Aber das löst die Frage nicht, wer denen, die Asyl wirklich brauchen, künftig hilft? So lange man da nicht weiterkommt, ist jede Lösung Flickwerk.

Die Staats- und Regierungschefs werden in der kommenden Woche zum x-ten Mal die Migrationsproblematik diskutieren. Jeder von ihnen weiß, dass die geltenden Dublin-Regeln ungerecht sind. Die Union braucht faire Quoten, die auf die Größe und Wirtschaftskraft eines Landes abgestimmt sind. Und sie muss eine zentrale Stelle schaffen, die anerkannte Asylanten verteilt - auf alle Mitglieder. Doch das ist nicht durchsetzbar. Noch nicht.

Es gibt diesen fatalen Zirkel innerhalb der EU, das Richtige zu erkennen, auch zu wissen, dass es irgendwann kommen muss. Aber dennoch alles zu tun, um es hinauszuschieben. Bis dahin vollziehen sich an den Grenzen zu dieser EU menschliche Dramen. Nein, an denen hat nicht "die" EU als Institution Schuld. Sondern alle, die ihren Nationalismus pflegen.

Richtig ist: Griechenland hat sich, bei allem Verständnis für die großen finanziellen Probleme, jahrelang seiner Verantwortung aus dem Dublin-System entzogen, die Flüchtlinge durchgewunken. Deshalb bleibt es richtig, Hellas nun an die Leine zu legen. Aber das heißt auch, ein System wieder in Kraft zu setzen, das für eine solche Ausnahmesituation ungeeignet ist. Ja, Europa braucht auch schnell wirkende Notlösungen. Aber diese können eine dauerhafte solidarische Asyl-Gesetzgebung nicht ersetzen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort