Bitte keine Eiertänze
So schnell ändern sich die Zeiten. Noch vor gut einem Jahr gab es in der SPD Stimmen, die von der Aufstellung eines eigenen Kanzlerkandidaten abrieten, weil der gegen Angela Merkel sowieso chancenlos sei. Darauf würde bei den Genossen inzwischen wohl keiner mehr wetten - eine handfeste Flüchtlingskrise und mehrere AfD-Wahlerfolge später ist Merkels Ruf ziemlich angekratzt. Gleichwohl wagt die Kanzlerin einen vierten Anlauf, auch deshalb, weil die Union schlicht kein besseres Zugpferd hat.
Angesichts dieser Gefechtslage müsste in der SPD geradezu Euphorie aufkommen. Doch was macht die Partei? Sie wartet weiter ab. Der Merkel-Herausforderer soll erst Ende Januar feststehen. Damit wecken die Genossen einmal mehr Zweifel an ihrer eigenen Siegeszuversicht. Sollte es wirklich bei diesem Fahrplan bleiben, werden nervige Zeiten ins Land gehen. Jedenfalls für die SPD .
Dabei genügt ein Blick in die jüngere Geschichte, um zu begreifen, dass die Partei sich mit Eiertänzen bei der Kandidatenfindung eher schadet als nützt. Vor der Bundestagswahl 2013 hatte Parteichef Sigmar Gabriel mit den beiden damaligen Ex-Ministern Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück eine "Troika" gebildet. Aber die schöne Inszenierung misslang, weil alle Beteiligten zu viel taktierten. Am Ende stolperte Steinbrück regelrecht in die Rolle des Merkel-Herausforderers. Die Weiterungen sind bekannt: Kandidat und Programm wollten einfach nicht zueinander passen, und am Wahlabend landete die SPD wie schon 2009 tief im 20-Prozent-Keller.
Nun muss sich Geschichte nicht wiederholen. Die Art und Weise der Kandidatenfindung werden die Bürger aber sehr wohl registrieren - und bei ihrer Wahlentscheidung nicht gänzlich vergessen haben. Gabriel selbst hatte kürzlich die Richtung vorgegeben, als er sagte: Solange in der Union nicht Klarheit herrsche, ob Merkel noch einmal antrete, sei die SPD "unter gar keinem Druck". Nun hat Merkel sich erklärt, also steht die SPD unter Druck. Nichts anderes bedeutet Gabriels Ansage im Umkehrschluss. Und es gibt ja auch keinen vernünftigen Grund, den Namen des Herausforderers erst in zwei Monaten mitzuteilen. Zumal sich an der politischen Großwetterlage bis Ende Januar wohl nicht viel ändern wird. Eher dürfte sich das Publikum abgestoßen fühlen von den politischen Aufgeregtheiten, die nun kommen werden. Denn in Intrigen und Durchstechereien waren die Genossen schon immer groß.
Sigmar Gabriel und Martin Schulz sollten die Sache schleunigst besprechen und die K-Frage abräumen. Es gibt nämlich Wichtigeres. Nach der erklärten Bereitschaft Angela Merkels für eine vierte Amtszeit wollen die Leute wissen, woran sie mit der SPD sind. Und dann kann man endlich über Inhalte reden.