Billiges Geld ist nicht alles

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat gestern mit der Senkung des Leitzinses auf ein Rekordtief von 0,05 Prozent eine ihrer letzten geldpolitischen Patronen verschossen. EZB-Präsident Mario Draghi nimmt damit endgültig den Kampf gegen eine drohende Deflation in Europa auf.

Denn die Teuerungsrate lag im Euro-Raum zuletzt nur noch bei 0,3 Prozent, und in vielen Ländern stagniert die Wirtschaft. Die EZB befürchtet, dass die Verbraucher mit weiter sinkenden Preisen rechnen und deshalb größere Anschaffungen zurückstellen. Dadurch sehen sich auch die Unternehmen genötigt, geplante Investitionen in neue Maschinen und Anlagen auf die lange Bank zu schieben. Für die Volkswirtschaften könnte somit eine Abwärtsspirale in Gang kommen. Die weitere Verbilligung des Geldes soll erreichen, dass der Konsum angekurbelt wird und die Teuerungsrate sich wieder der tolerierten Schwelle von zwei Prozent nähert.

Im konkreten Fall ist es aber offen, ob diese Lehrbuch-Theorie in der Praxis greift. Denn schon die vorangegangenen Zinsschritte haben es nicht vermocht, die Konjunktur-Pferde zum Saufen zu bringen. Weshalb es nach diesem symbolträchtigen Mini-Zinsschritt anders laufen soll, ist nicht zu erkennen. Helfen werden da auch nicht die milliardenschweren Investitionsprogramme, die bereits diskutiert werden und möglichst bald umgesetzt werden sollen. In welche Projekte dieses Geld fließen soll, ist weitgehend offen, zumal die Infrastruktur in vielen südlichen Euro-Ländern schon heute vom Feinsten ist.

Auch die Ankündigung der EZB, künftig Unternehmenskredite aufzukaufen, um den Firmen Investitionen zu erleichtern, zielt in die falsche Richtung. Dadurch übernimmt die Zentralbank die Investitionsrisiken der Anleger und wiegt sie in falscher Sicherheit. Denn die Gefahr, dass Zombie-Unternehmen durch billiges Geld und risikofreie Kreditaufnahme künstlich am Leben gehalten werden, steigt. Die Folge: Wenn die EZB ihre Geldpolitik wieder ändert, wird es zu einer Pleitewelle kommen. Mit seiner Politik der Mini-Zinsen will Draghi wohl auch weiteren Druck aufbauen, damit die strikten Vorgaben bei der Haushalts-Konsolidierung im Euro-Raum gelockert werden. Darauf drängen vor allem die klammen Mittelmeer-Länder. Denn die sinkende Inflation hat zur Folge, dass ihre Schulden real wieder teurer werden.

Alle Maßnahmen der Währungshüter werden jedoch verpuffen, solange Länder wie Italien oder Frankreich ihre Wirtschaftsstrukturen nicht hinterfragen. Zu viel Bürokratie, zu wenig unternehmerische Freiheit, massenweise kleine Firmen, die nicht in der Lage sind, die Vorteile der Globalisierung zu nutzen - das sind die wirklichen Hemmschuhe für einen Wachstumsschub. Ganz egal, wie viel billiges Geld im Umlauf ist.

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