Bern hofft auf ein gutes Wort der Kanzlerin

Bern · Helmut Kohl als Kanzler - diese Zeit wünscht sich offenbar mancher Eidgenosse zurück. Zum heutigen Schweiz-Besuch von Angela Merkel liest man in der "Neuen Zürcher Zeitung", im Gegensatz zum Altkanzler gelte sie "nicht als eine besondere Freundin der Schweiz".

Der Pfälzer habe wohl "eine größere kulturelle Nähe" zum Alpenland als seine in der DDR aufgewachsene Nachfolgerin.

Dennoch hofft die Regierung in Bern auf Merkels Verständnis für ihre Lage. Und auf ein gutes Wort der mächtigen Kanzlerin bei der EU-Kommission in Brüssel. Das könnte die Schweiz gut brauchen, denn ihr Verhältnis zur Europäischen Union ist ramponiert. Grund ist das Votum der Eidgenossen für die Initiative der rechtsnationalen Schweizerischen Volkspartei gegen "Masseneinwanderung". Der Volksentscheid vom Februar vorigen Jahres verpflichtet die Regierung, bis 2017 erneut Kontingente für Zuwanderer aus der EU festzulegen, auch für Deutsche. Bislang können sie noch ohne Einschränkungen in der Schweiz arbeiten und wohnen - ebenso wie Schweizer überall in der EU.

Die Annahme der Initiative, wenngleich mit nur 50,3 Prozent, könnte sich als Bumerang erweisen. Den Grundsatz der Personenfreizügigkeit hatte Brüssel nämlich mit der Schweiz nicht einfach so, sondern als Bestandteil eines Pakets bilateraler Vereinbarungen mit dem Nicht-EU-Mitglied ausgehandelt. Wird dagegen verstoßen, könnte Brüssel vieles infrage stellen, was der Schweiz enorme Vorteile bringt. Vor allem den zollfreien Zugang zum europäischen Binnenmarkt.

Das wäre eine Bürde auch für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und dem "großen Kanton", wie Deutschland südlich der Rhein-Grenze gern genannt wird. Immerhin ist die Bundesrepublik für Schweizer Exporte das wichtigste Zielland. Umgekehrt erhalten die Eidgenossen etwa vier Prozent aller deutschen Ausfuhren.

Doch könnte sich die Kanzlerin tatsächlich bei der EU für eine Sonderbehandlung der Schweiz einsetzen? "Kaum vorstellbar, schon wegen David Cameron ", hört man in diplomatischen Kreisen. Der britische Premier will Sonderregelungen von Brüssel, um den freien Zugang von Bürgern der südlichen EU-Staaten zum britischen Arbeitsmarkt einschränken zu können. Zugeständnisse sogar an das Nicht-EU-Land Schweiz wären Wasser auf Camerons Mühlen.

Ob bei so viel europäischem "Zündstoff" während Merkels rund sechsstündiger Visite noch Zeit für bilaterale Probleme bleibt? Schwer vorstellbar. Dabei gäbe es manches zu besprechen, von Schwarzgeld-Problemen bis zum Ärger in Südbaden über den Fluglärm vom Airport Zürich.

Zudem scheint die Chemie zwischen Deutschen und Eidgenossen nicht mehr zu stimmen. "Schweizer mobben deutsche Autofahrer", berichtete kürzlich das Schweizer Newsportal "20 Minuten". In Autos mit deutschen Kennzeichen seien Hakenkreuze geritzt worden, Deutsche fühlten sich auf Schweizer Autobahnen bedrängt. Solche Stimmungen kochten immer mal hoch, sagt Matthias Estermann, der 2008 den Verein für Deutsche in der Schweiz gründete. Das werde aber meist überzogen dargestellt. Immerhin hielten sich rund eine halbe Million Deutsche in der kleinen Schweiz auf: etwa 300 000 mit ständigem Wohnsitz, 100 000 als Grenzgänger und weitere 100 000, die vorübergehend in der Schweiz arbeiten. Gemessen daran gebe es nur "einige wenige unschöne Vorfälle", sagt Estermann, der wie Merkel in der DDR aufwuchs. "Insgesamt ist das Verhältnis gut."

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