Benzinpreise sind kein Schicksal

Meinung · Guido Westerwelle, Chef der Liberalen, lag gestern im Bundestag völlig richtig: Mit ihrer lapidaren Erklärung, die steigenden Energie- und Spritpreise gingen allein auf Knappheit zurück, macht es sich Angela Merkel zu einfach

Guido Westerwelle, Chef der Liberalen, lag gestern im Bundestag völlig richtig: Mit ihrer lapidaren Erklärung, die steigenden Energie- und Spritpreise gingen allein auf Knappheit zurück, macht es sich Angela Merkel zu einfach. Die Kanzlerin erbrachte damit allerdings selbst den Beweis für das, was schon seit längerem zu vermuten war: Merkel und ihren Getreuen ist momentan das Gespür für Stimmungen verloren gegangen. Das zeigt sich zum einen daran, dass sie wochenlang den Frust in der Unionsfraktion über die Steuerpolitik ihrer Regierung nicht erkannte - oder schlichtweg ignorierte. Inzwischen herrscht Aufruhr, den man vielleicht mit einem Ordnungsruf eindämmen kann. Bei den Spritpreisen aber liegt der Fall anders: Der Bürger lässt sich nicht einfach abwatschen, sondern fordert zu Recht von seiner Regierung, sich zu kümmern - zumindest möchte er das Gefühl haben. Merkel aber hält sich zurück und rät zum Sparen. Das ist zwar richtig, aber eben zu wenig. Sie verkennt, dass die Entwicklung zunehmend gefährlich wird für die Bundesregierung.Mehr als 1,60 Euro wird der Liter bald kosten, manche Experten rechnen gar mit zwei Euro. Zu Beginn der Sommerferien wird die Urlaubslaune gleich bei der Anfahrt an die Tankstelle verdorben. Und spätestens beim Blick auf den Aufkleber "78 Cent Steuern" gleich neben dem Zapfhahn schlägt der Zorn auf die Multis in Zorn auf die Politik um. Nun wäre es naiv zu glauben, eine rapide Steuersenkung würde das Benzin automatisch billiger machen. Die Mineralöl-Unternehmen würden die Preise umgehend wieder anheben - mit den alten Erklärungen: steigende Nachfrage, stagnierendes Angebot. Die Kassen der Konzerne wären also noch voller, die des Staates leerer. Das kann nicht der richtige Weg sein. Auch die Abschaffung der Ökosteuer taugt nicht, weil der Bürger im Gegenzug steigende Lohnnebenkosten berappen müsste.Dennoch sind der Politik nicht die Hände gebunden: Richtig wäre es, die Pendlerpauschale wieder ab dem ersten Kilometer zu zahlen. Das wäre ein wichtiges Signal Merkels an die gebeutelten Bürger und auch in die Union hinein. Richtig wäre zudem, die Börsen transparenter zu machen und laut über eine Spekulationssteuer auf Ölgeschäfte nachzudenken. Denn der Preis wird zu einem beachtlichen Teil durch die Gier von Spekulanten hochgetrieben. Es gibt also eine ganze Reihe von Instrumenten, die man gegen steigende Benzinpreise anwenden oder auf den Weg bringen kann - Verbraucher wie Politik. Dazu muss man die Entwicklung aber auch als Chance begreifen. Was die Kanzlerin leider noch vermissen lässt.

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