Bei Hartz IV muss die Koalition Federn lassen

Berlin. CSU-Chef Horst Seehofer hat über viele Jahre als Bundesgesundheitsminister in der Ära Helmut Kohl schon so manches knifflige Problem mit einem SPD-dominierten Bundesrat lösen müssen

Berlin. CSU-Chef Horst Seehofer hat über viele Jahre als Bundesgesundheitsminister in der Ära Helmut Kohl schon so manches knifflige Problem mit einem SPD-dominierten Bundesrat lösen müssen. Und nun ist seit Freitag - dem ersten persönlichen Auftritt Seehofers in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die für den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat den Hartz-IV-Kompromiss erarbeiten soll - überraschend Bewegung in die zuvor erstarrten Fronten gekommen.Nur mühsam akzeptiert die schwarz-gelbe Regierungskoalition, dass sie für die vom Bundesverfassungsgericht verlangte Neuregelung der Hartz-IV-Regelsätze und insbesondere für die bessere Förderung der 2,1 Millionen Kinder aus diesen Familien auf die Stimmen von SPD und Grünen im Bundesrat angewiesen ist. Aber auch die Opposition muss bei den Verhandlungen Abschied von Maximalforderungen nehmen. "Es ist ein Geben und Nehmen", beschreibt ein SPD-Unterhändler die Situation. Also: Kein gesetzlicher Mindestlohn für alle Branchen - sondern zunächst einmal nur Fortschritt bei dem Ziel überhaupt.

Dass die schwarz-gelbe Koalition angesichts ihrer bisherigen Verweigerungshaltung beim Thema Mindestlohn kräftig Federn lassen muss, ist Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und zunehmend auch vielen in der Union seit langem klar. Als "Formfehler" bei dem politischen Pokerspiel dürfte da abgehakt werden, dass die Koalition bei dem Ringen um einen Mindestlohn für die Zeit- und Leiharbeitsbranche am Freitag noch das "FDP-pur-Modell" in den Verhandlungsring warf - nach dem "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" erst nach zwölf Monaten gelten soll. Doch kaum ein Leiharbeiter ist ein Jahr lang bei der selben Firma beschäftigt. Für eine Million Arbeitnehmer in dieser Branche würde dies nur weitere Nachteile bedeuten.

In der zweiten Unterarbeitsgruppe, die sich mit der von der Koalition angestrebten Erhöhung des Regelsatzes für Langzeitarbeitslose um 5 auf 364 Euro beschäftigt, biegen sich inzwischen die Tische unter über 1000 Seiten neuem Datenmaterial. Von der Leyen hat diese Zahlen von den Mitarbeitern ihres Hauses über die Feiertage mühsam nach Forderungen der Opposition zusammenstellen lassen. Es geht dabei um die Frage, wie das Existenzminium für einen Hartz-IV-Empfänger berechnet werden soll - und auch welche Alternativen es dafür gibt. Mehrfach hatte die Opposition bereits bei den Bundestagsberatungen solche Alternativrechnungen gefordert.

Die erfreulichste Bewegung bei dem Hartz-IV-Tauziehen gibt es inzwischen beim Bildungspaket. Seehofer machte sich dabei zum Fürsprecher der Oppositions-Forderungen. So sollen nach aktuellem Verhandlungsstand die Kommunen und ihre Sozialarbeiter künftig dafür verantwortlich sein, dass die 2,1 Millionen Kinder aus Hartz-IV- Familien sowie die weiteren 200 000 aus Geringverdiener-Familien das von den Verfassungsrichtern verlangte "Teilhaberecht" an Bildung und am gesellschaftlichem Leben erhalten - und nicht mehr wie bisher vorgesehen die Jobcenter der Arbeitsagenturen.

Das heißt: Abschied von Ursula von der Leyens individuellem Bildungschip und Verlagerung der Aufgaben von den Jobcentern hin in die Kommunen. Das geht allerdings nicht ohne erhebliche zusätzliche Bundeszuweisungen. Neue komplizierte Rechtsregelungen werden zudem erforderlich sein.

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