Barack Obamas neue politische Doktrin

Washington. Barack Obama hat spät, aber überzeugend dargelegt, warum die USA sich in Libyen engagieren: Als Präsident der größten Militärmacht werde er nicht tatenlos zusehen, wie ein Diktator sein eigenes Volk abschlachte, sagte Obama gestern vor der National Defense University. Das war in Bengasi tatsächlich zu befürchten

Washington. Barack Obama hat spät, aber überzeugend dargelegt, warum die USA sich in Libyen engagieren: Als Präsident der größten Militärmacht werde er nicht tatenlos zusehen, wie ein Diktator sein eigenes Volk abschlachte, sagte Obama gestern vor der National Defense University. Das war in Bengasi tatsächlich zu befürchten. Gaddafis Truppen standen schon vor den Toren der Stadt, und der Diktator hatte seine Gegner sogar gewarnt, er werde sie "im Kleiderschrank" suchen und "keine Gnade" kennen. "Wir mussten mit Gewalt erschreckenden Ausmaßes rechnen," rechtfertigt Obama das Eingreifen.Die USA hätten eine breite Koalition zusammengebracht und die militärischen Mittel besessen, ein Massaker effektiv zu stoppen. Ein starkes Argument. Der Präsident warnt zurecht vor falschen Alternativen. Die humanitäre Intervention in Libyen sei im nationalen Interesse, auch wenn die eigene Sicherheit nicht direkt auf dem Spiel stünde. Wegzuschauen hätte aber zumindest indirekt geschadet, erklärte Obama, weil es den Diktatoren der Welt signalisiert hätte, dass sie für Massenmorde nicht zur Rechenschaft gezogen würden - das falsche Signal auch an andere Autokraten in einer Region, die insgesamt von zentraler Bedeutung für die USA ist.

Unüberhörbar und deutlich kritisiert Obama die Bundesregierung, die sich im Sicherheitsrat auf die Seite der Russen und Chinesen geschlagen hat. Einige Nationen zögen es vor Wegzuschauen, wenn Massaker verübt würden, klagt der Präsident. Für ihn sei dies keine Option. "Ich lehne es ab, zu warten bis die Bilder von Gemetzeln und Massengräbern auftauchen, bevor ich handele."

Daraus klingt bittere Enttäuschung über einen Verbündeten, der einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat begehrt. Dass die Deutschen sich der internationalen Solidarität ausgerechnet dann entziehen, wenn die USA nach Lehrbuch multilateral handeln, bleibt in Washington mehr als unverständlich.

In seiner Rede entwickelt Obama gleichzeitig die Umrisse einer Doktrin, die sowohl idealistisch als auch pragmatisch ist. Obama will dem neuen Völkerrechtsgrundsatz "Verantwortung zum Schutz" zum Durchbruch verhelfen, den die Vereinten Nationen 2006 als Reaktion auf den Völkermord in Ruanda beschlossen hatten. Demnach besteht nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht zu handeln, wenn Regierungen gegen ihre eigene Bevölkerung vorgehen. Der Präsident erklärte einleuchtend, warum die USA ausgerechnet in Libyen eingegriffen haben - weil es dringlich und möglich war. Wenig überzeugend blieb Obama dagegen bei der Frage nach der Dauer des Einsatzes und der Beteuerung, es ginge nicht darum, Gaddafi von der Macht zu entfernen.

Tatsächlich gibt es für die internationale Staatengemeinschaft nun kein denkbares Szenario mehr, das es erlaubte, den Diktator mit terroristischer Vergangenheit weiter an der Macht zu dulden - es sei denn, die Nato wollte über lange Zeit eine kostspielige und aufwendige Flugverbots-Zone durchsetzen.

Das Echo auf die Rede fiel gemischt aus. Wobei Kritik und Zustimmung über alle politischen Lager verteilt sind. So lobte Obamas ehemaliger Gegenkandidat im Präsidentschaftswahlkampf John McCain ausdrücklich die Rede. Ziemlich kritisch äußerten sich Vertreter der rechtspopulistischen "Tea-Party"-Republikaner und einzelne Demokraten vom linken Rand der Partei.

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