Auf der Suche nach Askese und Romantik

Berlin · Der Salafismus in Deutschland hat viele Gesichter - doch keines davon ist dazu angetan, die Sympathie der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu gewinnen. Da ist der bärtige Islam-Missionar, der in der Fußgängerzone kostenlose Koran-Ausgaben verteilt.

Es gibt den Frömmler, der mit entrücktem Lächeln von religiösen Erweckungserlebnissen berichtet und den Quietisten, der sich mit seiner vollverschleierten Frau zurückzieht von einer Gesellschaft, deren Werte er ablehnt. Angst und Abscheu ruft der militante Dschihad-Verfechter hervor, der einzelne Überlieferungen aus der Frühzeit des Islam als Lizenz zum Töten missbraucht. Dass sich Tausende Dschihadisten aus Europa im irakisch-syrischen Kriegsgebiet Terrorgruppen angeschlossen haben, hat eine Flut von Analysen dieser radikalen Spielart des Islams ausgelöst.

Doch die Experten liefern keine einheitlichen Antworten auf die wichtigen Fragen: Hat der deutsche Neo-Salafismus seine Wurzeln in der puritanischen Wahabismus-Bewegung, deren Lehren in Saudi-Arabien Staatsreligion sind? Oder ist er nicht vielleicht doch eher eine Weiterentwicklung islamistischer Tendenzen aus Syrien und Ägypten? Haben Einwanderer das radikale Gedankengut nach Deutschland eingeschleppt wie einen Krankheitserreger? Oder ist der Salafismus in Deutschland nicht doch eher eine wenn auch sehr gefährliche Form von Jugendkultur?

Der kürzlich erschienene Sammelband "Salafismus in Deutschland" liefert zumindest einige interessante Erklärungen für die Radikalisierung deutscher Muslime und Konvertiten. Eines ist die Abgrenzung, die der asketische Lebensstil und die strengen Regeln des Salafismus jungen Menschen liefern, die in einer liberalen Wohlstandsgesellschaft aufwachsen. Nach dieser Theorie wäre der rückwärtsgewandte Neo-Salafismus ein Mittel der Provokation so wie die Null-Bock-Haltung und der damals noch als schrill geltende Look der Punks in den 1980er, nur mit umgekehrtem Vorzeichen.

Andere Foscher wie Benham T. Said und Hazim Fouad sehen auch hinter dem Drang einiger Salafisten , sich in Syrien, Pakistan, Afghanistan, Irak, Somalia oder Tschetschenien dem "internationalen Dschihad " anzuschließen, eher persönliche Motive. Sie unterstellen den deutschen "Dschihad-Touristen" romantisierende Vorstellungen von einem Kampf für die "gute Sache", Mann gegen Mann. Im Kampfgebiet angekommen, setze bei der Mehrheit der "Möchtegern-Gotteskrieger" dann aber oft eine große Ernüchterung ein, betonen sie. Eine wichtige Rolle dürfte bei den Dschihad-Ausreisen sicher auch der Gruppendruck spielen - ähnlich wie bei Mutproben unter Kindern.

Da die Radikalisierungszyklen der deutschen Dschihadisten immer kürzer werden, haben die Sicherheitsbehörden Probleme, die komplette Szene im Blick zu behalten. Das mache auch die Prävention schwierig, klagen die Experten. Islam-Forscher Thomas Lemmen rät zumindest dringend davon ab, Salafisten-Prediger in Talkshows oder Podiumsdiskussionen als Vertreter "des Islams" reden zu lassen. Da die Salafisten nur für eine kleine Gruppe der hierzulande lebenden Muslime sprächen, sei das, als würde man "einen Rechtsextremisten zu einer Diskussion über Demokratie oder jemand aus der Piusbruderschaft zu Religionsfreiheit einladen", sagt Lemmen.

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