Auf der Insel geht die Angst um

London · Seit dem Jahreswechsel landen in Großbritannien deutlich mehr Flugzeuge aus Rumänien und Bulgarien – und keiner der begehrten Plätze bleibt leer. Auch Reisebusse fahren vollbepackt die Bahnhöfe im Vereinigten Königreich an, begleitet von aufgeregten Schlagzeilen der Boulevardpresse.

Rechtspopulistische Politiker und konservative Medien warnen mit aggressiven, zum Teil fremdenfeindlichen Kampagnen vor dem Ansturm aus Osteuropa. Die Regierung zieht nach und hat weitere Schritte angekündigt, um die Insel für Einwanderer aus ärmeren Staaten weniger anziehend zu machen. Dieses Verhalten lässt aufschrecken. Es zeugt von Konzeptlosigkeit, wenn nun panikartig Gesetzesänderungen beschlossen werden.

Was ist mit dem Königreich passiert? Heute begrüßt der britische Premier David Cameron Bulgaren und Rumänen keineswegs mit einem Blumenstrauß. Auf der Insel geht die Angst vor vermehrter Einwanderung um, was vor allem an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes liegt. Doch die zunehmende Ausländerfeindlichkeit sollte von der Politik nicht auch noch bedient werden, indem sie offen Osteuropäer davon abrät, über den Kanal zu kommen. Laut Innenministerium hat die Zuwanderung aus der EU die Arbeitssituation für Briten mit niedrigerem Ausbildungsstand verschlechtert, den so genannten Sozialtourismus gefördert und soziale Spannung verstärkt. Und trotzdem: Großbritanniens Gesellschaft täte gut daran, nicht eine ihrer besten Qualitäten zu verspielen.

In England herrschte jahrzehntelang das Prinzip der Freizügigkeit, die multikulturelle Gesellschaft wurde als das erstrebenswerte Ideal angesehen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges strömten Einwanderer aus allen Ecken der Welt auf die Insel. Das Motto war: Wer kommen will, soll kommen. Touristen, Zuwanderer und Briten gleichermaßen lobten das Miteinander.

Bei allen EU-Erweiterungsrunden haben die Briten ihren Arbeitsmarkt sofort geöffnet. Anders als Deutschland hat das Königreich keine langen Übergangsfristen für die neuen EU-Staaten vereinbart. Das wiederum war leichtfertig. Doch anstatt nach nachhaltigen Lösungen zu suchen und aus Fehlern wie im Jahr 2004 zu lernen, als nach dem EU-Beitritt Polens und anderer osteuropäischer Länder Hunderttausende kamen, wurden in den vergangenen Wochen hektisch Veränderungen in der Sozialgesetzgebung beschlossen. So sollen Rumänen und Bulgaren erst nach einem dreimonatigen Aufenthalt Anspruch auf Sozialleistungen haben. Zudem soll es möglich sein, die Sozialleistungen nach sechs Monaten wieder einzustellen, wenn der Einwanderer nicht nachweisen kann, dass er eine realistische Chance auf einen Arbeitsplatz hat.

Was jahrzehntelang gefordert und gefördert wurde, scheint vergessen. Dass nun EU-Bürger aus ärmeren Ländern freien Zugang zum Arbeitsmarkt haben, schürt bei vielen Wut auf den Staatenbund. Es wäre die Aufgabe der Politik, die EU und deren Beschlüsse zu verteidigen. Stattdessen macht sie sie für die Probleme auf der Insel verantwortlich.

Aufgrund der Erfolge der antieuropäischen Partei UKIP versucht nun auch die konservative Regierung auf den Zug aufzuspringen. 2014 stehen Europawahlen, 2015 die Parlamentswahlen an. Die Einwanderungspolitik wird eines der großen Wahlkampfthemen werden. Etwas mehr Besonnenheit würde der Diskussion gut tun.

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