Assad hält noch genug Karten in der Hand

Damaskus. Die Situation in Syrien verschlimmert sich von Tag zu Tag. Nachdem am Samstag die Arabische Liga de facto das Scheitern ihrer einmonatigen Beobachtermission bekannt gegeben hatte, verschärften Sicherheitskräfte und Milizen des Regimes gestern ihre Offensive gegen Rebellen in Vororten von Damaskus

Damaskus. Die Situation in Syrien verschlimmert sich von Tag zu Tag. Nachdem am Samstag die Arabische Liga de facto das Scheitern ihrer einmonatigen Beobachtermission bekannt gegeben hatte, verschärften Sicherheitskräfte und Milizen des Regimes gestern ihre Offensive gegen Rebellen in Vororten von Damaskus. Die Zahl der Toten hat sich seit Beginn der Rebellion gegen das Regime Baschar al-Assads vor elf Monaten auf mehr als 5500 erhöht. Die Friedensmission stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Die Beobachter waren wegen ihrer geringen Zahl, überhasteten Vorbereitung und einer drastisch eingeschränkten Bewegungsfreiheit hoffnungslos überfordert. Vor allem aber spielte das Regime mit den Liga-Vertretern "Katz und Maus".Währen der einmonatigen Mission schnellte die Zahl der durch Assads Bewaffnete Getöteten sogar auf mehr als 800 hinauf. Immer mehr Beobachter sprangen geschockt und frustriert ab, bis schließlich auch Saudi-Arabien und Katar dem Assad-Regime nicht länger als Feigenblatt dienen wollten. Inzwischen kündigten saudische Politiker die Bereitschaft an, den oppositionellen "Syrischen Nationalrat" als offizielle Repräsentanten des syrischen Volkes anzuerkennen.

Das offizielle Damaskus schäumt, wirft den arabischen Brüdern vor, sie verschärften den Druck auf die internationale Gemeinschaft, in Syrien zu intervenieren. Doch in Wahrheit hat sich nun zwar die internationale Isolation Syriens verstärkt, das wild ums Überleben ringende Regime aber etwas Spielraum gewonnen. Diesen zu nutzen, verlieren die Schergen des Despoten keine Zeit. Mehr als 2000 Soldaten und 50 Panzer starteten gestern eine Offensive, um in den schwersten Kämpfen nahe der Hauptstadt seit Beginn der Revolte, von der oppositionellen "Freien Syrischen Armee" vor wenigen Tagen eingenommene Vororte wieder unter Kontrolle zu bringen.

Noch hält Assad genügend Karten in seiner Hand, die ihm den Mut zum hemmungslosen Durchhalten geben - vorerst, einige, ja vielleicht sogar noch viele Monate: Das Militär mit seinem Monopol an schweren Waffen steht noch hinter dem Regime, Desertionen beschränken sich - vorerst? - auf niedrigere Ränge. Etwa 80 Prozent des Offizierskorps sind Angehörige der herrschenden alawitischen Minderheit. Fast alle für das Überleben der Assad-Herrschaft entscheidende Positionen sind mit Alawiten und Mitgliedern der regierenden Baath-Partei besetzt.

Die tiefe Uneinigkeit der führungslosen Opposition stärkt zudem Assads politische Überlebenschancen, und die "Freie Syrische Armee" ist militärisch den staatlichen Sicherheitskräften haushoch unterlegen. International weiß der Syrer zwei wichtige Verbündete auch weiterhin auf seiner Seite: Russland, das nicht riskieren will, durch den Sturz Assads seinen einzig noch verbliebenen arabischen Verbündeten zu verlieren; und der Iran, den die eben verschärften internationalen Sanktionen in seiner Solidarität mit dem bedrängten arabischen Bruder bestärken.

Dennoch: Die Mauer der Furcht ist zusammengestürzt, die Proteste und Massenkundgebungen halten an, die Wirtschaft kollabiert unter dem Sanktionsdruck. Beobachter wagen nur eine Prognose: das Morden geht weiter, bis irgendwann eine der letzten Minderheiten-Diktaturen der Region endgültig stürzt.

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