10 Jahre Lehman-Pleite „Arbeiterführer“ Trump lässt Banken gewähren

BRÜSSEL Am Wochenende wurde weltweit an die Lehman-Pleite erinnert, die am Samstag vor zehn Jahren die Finanzwelt zum Beben brachte. So sehr die Folgen global waren, nirgendwo waren die Auswirkungen so groß wie dort, wo die Finanzkrise ihren Ursprung hatte: in den USA.

Es ist vor allem eine Zahl, die deutlich macht, was die Finanzkrise für Amerikaner bedeutet: neun Millionen. Rund neun Millionen Familien mussten im Zuge des Crashs aus ihren zwangsversteigerten Häusern ausziehen. Das Platzen der Immobilienblase hatte ein Kartenhaus in sich zusammenfallen lassen. Die Annahme, dass man nichts falsch machte, wenn man ein Haus kaufte, selbst wenn man keinen einzigen Dollar an Eigenkapital hinlegen konnte, sie entpuppte sich als schönes Märchen.

Die Finanzkrise hatte viele Ursachen. Da wäre die Casino-Mentalität in den Geldinstituten. Da wäre die Gier der kleinen Leute, die auch deshalb am Glücksrad drehten, weil die Reallöhne stagnierten. Da wäre schließlich die Deregulierung der Finanzmärkte, unter Bill Clinton begonnen und unter George W. Bush fortgesetzt. In der amerikanischen Erzählung aber ist der Absturz vor allem eines: ein Paradebeispiel dafür, dass der Staat Bankern, die sich verzockt haben, mit Steuergeldern aus der Patsche hilft, während er Joe und Jane Normalverbraucher ihrem Schicksal überlässt.

Auch darin liegt der Aufstieg der Populisten begründet. Ein Donald Trump wäre wohl nie im Weißen Haus eingezogen, hätte die Finanzkrise nicht zu einer anhaltenden Entfremdung breiter Wählerschichten von der politischen Klasse ihres Landes geführt.

Nach dem Lehman-Brothers-Bankrott gab der Fiskus viele Milliarden aus, um weitere Pleitekandidaten vor dem Ruin zu bewahren (die Hypothekenbanken Fannie Mae und Freddie Mac, den Versicherungsriesen AIG) und obendrein in großem Stil Schrottpapiere aufzukaufen. Abgesehen davon, dass sich die Geister im robust kapitalistischen Amerika grundsätzlich an staatlichen Rettungsaktionen scheiden, verstärkte die Intervention ein Gefühl massiver Ungerechtigkeit. Die Elite der Politik half der Elite der Finanzwelt, Washington half der Wall Street, ohne dass auch nur ein einziger der Casino-Bankiers hinter Gittern gelandet wäre.

So zumindest sahen es die Verlierer der Krise, es war der Boden, auf dem Trumps populistische Saat aufgehen konnte. Denn ernsthafte Versuche, Leuten zu helfen, die ihre Hauskredite nicht mehr zurückzahlen konnten, hat „Uncle Sam“ nie unternommen. Auch nicht unter dem Präsidenten Barack Obama. Zwar warf er den Autobauern General Motors und Chrysler den Rettungsring zu, vor einem groß angelegten Arbeitsbeschaffungsprogramm schreckte er jedoch zurück.

Die Rechte erklärte Regierungsbürokraten zu den Schuldigen, die Linke Konzerne und Wall-Street-Banken. Was beide vereinte, war die Überzeugung, die Elite spiele mit gezinkten Karten. Und dann schaffte es Donald Trump, sich der noch lange nicht verrauchten Wut zu bedienen. Ausgerechnet Trump, der selbst zur New Yorker Elite gehörte. Der „Arbeiterführer“ im Oval Office: Während er sich eines Wirtschaftsbooms rühmt, den er sich maßgeblich selbst zuschreibt, schaut er tatenlos zu, wie die Banken Schritt für Schritt zurückkehren zu den riskanten Praktiken der Vorkrisenzeit. Wie sich die Republikaner bemühen, vieles rückgängig zu machen von dem, was nach dem Schock an Finanzmarktreformen verabschiedet wurde. Und wie massive Steuersenkungen den Staatsschuldenberg rasant wachsen lassen. Was der Krisenfeuerwehr an Löschmitteln zur Verfügung steht, wenn die Flammen das nächste Mal auflodern, was sie zwangsläufig tun werden – es ist eine Frage, über die Amerika an diesem Jahrestag nur am Rande diskutierte.

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