Analyse Trump setzt weiter auf den stillen Strippenzieher
Washington · Vor Wochen kursierte das Gerücht, Mike Pence werde Platz machen müssen für eine jüngere Frau, statt vom Parteitag der Republikaner einmal mehr für das Amt des Vizepräsidenten aufgestellt zu werden.
Im Gespräch war Kristi Noem, die Gouverneurin South Dakotas. Am Nationalfeiertag hatte Trump in South Dakota geredet, am Mount Rushmore, wo die Köpfe von vier Präsidenten in den Fels gemeißelt sind. Noem schenkte ihm eine Miniaturausgabe des berühmten Denkmals, die neben George Washington, Thomas Jefferson, Abraham Lincoln und Theodore Roosevelt ein fünftes Konterfei zeigte. Das von Trump. Bald darauf berichtete die New York Times über Spekulationen, nach denen Trump eventuell nicht mit dem blassen Mike Pence in den Wahlkampf ziehe, sondern mit der aufregenderen Republikanerin aus dem Westen an seiner Seite. Seit Mittwoch ist es vorbei mit dem Geraune, Pence ist offiziell nominiert.
Der 61-Jährige ist zu wichtig für Trump, als dass er auf ihn verzichten könnte. Er bildet die Brücke zu evangelikalen Christen, immerhin ein Viertel der Wählerschaft, von denen viele dem in dritter Ehe verheirateten Milliardär aus New York anfangs mit Skepsis begegneten. „Ich bin ein Christ, ein Konservativer, ein Republikaner, in dieser Reihenfolge“, sagt Pence über sich. Abtreibung, findet er, müsse selbst im Fall einer Vergewaltigung bei Strafe verboten werden. Als Gouverneur von Indiana sorgte er 2015 für Wirbel. Da unterstützte er ein Gesetz, nach dessen Paragrafen jeder Arbeitgeber homosexuelle Angestellte allein wegen ihrer sexuellen Orientierung hätte entlassen und jeder Kleinunternehmer Aufträge schwuler Kunden hätte ablehnen können. Angesichts eines Proteststurms musste er einen halben Rückzieher machen, doch sein Profil hat er damit geschärft.
Anders als ein Vorgesetzter wirkt der Vize still im Hintergrund. Weder beleidigt er Kontrahenten, noch bezeichnet er Reporter als hoffnungsvolle Versager. In seinem Familienbild folgt er dem Grundsatz, niemals allein mit einer Frau zu dinieren, sofern es sich nicht um seine Gattin handelt. Trump hat ihn wegen seiner frömmelnden Art schon öfter mit Spott überzogen. „Wissen Sie, Mike will zu allem und jedem beten“, zitiert ihn Jim DeMint, ehemals Chef eines konservativen Thinktanks. Ständig komme er deswegen ins Oval Office. Als es einmal um die Rechte von Schwulen ging, soll Trump in Gegenwart von Pence bemerkt haben: „Fragt diesen Typen lieber nicht, der will sie alle aufhängen.“
Während der Präsident seine häufigen Pressekonferenzen dazu benutzt, die Schuld an der ernüchternden Corona-Bilanz der USA auf andere abzuwälzen, leitet sein Stellvertreter die Corona-Taskforce des Weißen Hauses, ohne viel Lärm darum zu machen. Auch Gouverneure der Demokratischen Partei, mit denen er es in der Rolle des Krisenmanagers fast täglich zu tun hat, bescheinigen ihm einen sachlichen, kooperativen Stil. Gleichwohl verstieg er sich im Juni zu der Behauptung, dass es eine zweite Welle der Epidemie nicht geben werde. Es war einer der Fälle, in denen er schlicht die Meinung seines Chefs wiederholte. In der Öffentlichkeit weicht er nie auch nur um einen Zentimeter ab von der Linie, die man im Oval Office gerade für die richtige hält.
Wie auch immer, am Mittwochabend bewies der höfliche Mike Pence, dass er sich durchaus auf das Reiten von Attacken versteht. Es ging frontal gegen den demokratischen Kandidaten Joe Biden. Zum einen unterstellte ihm Pence, sein Land nicht zu verstehen, weil er nach 47 Jahren in Washington den Bezug zum Leben einfacher Leute verloren habe. Zum anderen prophezeite er, Biden, in seinen Worten das Trojanische Pferd der radikalen Linken, würde Amerika in die Anarchie führen.