Analyse Linke holt Gysi zurück von der Hinterbank

Berlin · In letzter Zeit war es um ihn recht ruhig geworden. Nur gelegentlich nahm Gregor Gysi noch an Sitzungen der Linksfraktion im Bundestag teil, deren Vorsitzender er insgesamt 20 Jahre lang war. Seine neue Bestimmung lag eher in außerparlamentarischen Aktivitäten.

 Gregor Gysi ist wieder zurück: Er ist nun außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. 

Gregor Gysi ist wieder zurück: Er ist nun außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion. 

Foto: dpa/Karlheinz Schindler

Als Schirmherr des Berliner Landesverbandes der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft zum Beispiel und natürlich auch als Buchautor und Gastredner.

Künftig dürfte eine breitere Öffentlichkeit wohl wieder mehr Notiz von Gysi nehmen. Auf Vorschlag der Vorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali wählte die Fraktion den 72 Jahre alten Polit-Profi am Dienstag zu ihrem außenpolitischen Sprecher. Eine Beförderung von der Hinterbank wieder nach vorn sozusagen. Bereits im Februar hatte der bisherige Sprecher Stefan Liebig angekündigt, sich aus dem Auswärtigen Ausschuss im Parlament zurückziehen. Liebig zählt zum Reformflügel der Partei. Deshalb eckte er auch regelmäßig bei den linken Hardlinern an, für die zum Beispiel Venezuelas Staatschef Maduro weiter eine großer Held und jedweder Bundeswehreinsatz im Ausland des Teufels ist. Umso mehr kam es Bartsch, ebenfalls ein Reformer, auf Kontinuität bei der Neubesetzung des Amtes an. So wurde Gysi quasi wiederentdeckt. Und nach einiger Bedenkzeit sagte er Bartsch im April schließlich zu.

Noch bis vor kurzem hatte Gysi die Säle mit der Vorstellung seiner Autobiografie („Ein Leben ist zu wenig“) gefüllt. Für den 13. März war dazu auch ein Auftritt im Münchener Prinzregententheater geplant. Doch dann kam Corona mit voller Wucht. Just an dem Tag machte Bayern die Schotten dicht, und die Veranstaltung fiel aus. Spötter meinen, Gysi könnte sich seitdem ziemlich gelangweilt haben.

Wie dem auch sei, das Thema Außenpolitik hat den gelernten Rinderzüchter und späteren Rechtsanwalt immer schon umgetrieben. 1999, als die Linke noch PDS hieß, reiste Gysi nach Beginn der Nato-Angriffe nach Jugoslawien, um mit dem dortigen Präsidenten Milosevic über eine Friedenslösung zu sprechen. Das trug ihm in Deutschland damals harsche Kritik ein. Eher glanzlos war später auch seine dreijährige Amtszeit als Präsident der Europäischen Linken. Angesichts des schlechten Ergebnisses bei der Europawahl 2019 gab Gysi den Posten wieder auf. Derzeit ist er Vorsitzender der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe. Vor zwei Jahren begleitete er Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Staatsbesuch in Athen. Bereits seit der vorletzten Aprilwoche ist Gysi ordentliches Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Aus dem Gremium ist dazu ein großes Hallo von den meisten Mitgliedern überliefert. Angeblich wurde viel geflaxt und über sozialistische Umtriebe gewitzelt. Als außenpolitischer Sprecher seiner Fraktion will Gysi für ein besseres Verhältnis mit Russland werben und für eine stärkere Rolle Deutschlands bei der Lösung internationaler Konflikten. Gysi wehrt sich gegen die Auffassung, Berlin müsse überall mitmachen, um etwas zu sagen haben. Sein Credo: Besser nicht mitmachen, um glaubwürdiger vermitteln zu können.

Unter den Linksabgeordneten freuen sich viele, dass Gysi nun wieder öfter ans Rednerpult des Bundestages treten wird. Der 1,64 Meter kleine Linken-Star ist bekanntlich ein begnadeter Redner mit viel Witz und Charme, von denen es nur noch sehr wenige im Parlament gibt. Und wer weiß, vielleicht findet Gysi ja auch Gefallen daran, bei der nächsten Bundestagswahl noch einmal anzutreten. Bislang hält er sich darüber bedeckt. Ohne Absicherung auf einem Listenplatz hatte Gysi 2017 den Wahlkreis Berlin-Treptow-Köpenick direkt geholt. Ein Zugpferd ist er für die Linke noch immer.

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