Analyse Der kolumbianische Frieden ist extrem blutig

Mexiko-Stadt · Das Opfer Nummer 242 hieß Bryan Steven Montes und starb nur wenige Tage vor dem Jahrestag. Montes, früher Farc-Rebell und seit Jahren demobilisiert, wurde am Wochenende in der kleinen Ortschaft Puerto Caicedo im Departement Putumayo mit mehreren Schüssen regelrecht hingerichtet.

Im Südosten Kolumbiens operieren mehrere illegale bewaffnete Gruppen
Foto: dpa/Fernando Vergara

In der Region im Südosten Kolumbiens operieren mehrere illegale bewaffnete Gruppen: vor allem Drogenbanden und die sogenannte Farc-Dissidenz, also diejenigen Kombattanten der früheren Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc), die dem vor vier Jahren unterzeichneten historischen Friedensabkommen den Rücken gekehrt haben.

Seit Ende November 2016 herrscht nun offiziell Frieden zwischen der ältesten Rebellengruppe des südamerikanischen Landes und dem kolumbianischen Staat. Das Abkommen wurde seinerzeit global gefeiert, Kolumbiens damaliger Präsident Juan Manuel Santos erhielt dafür den Friedensnobelpreis. Von den 13 000 Männern und Frauen, die damals die Waffen niederlegten, sind 90 Prozent im Programm geblieben und versuchen, sich ein Leben als Bauern, Kaffeepflanzer, Touristenführer oder in anderen Berufen aufzubauen.

Und so richtig es ist, dass Kolumbien seither sicherer geworden ist, so richtig ist es, dass das Hauptversprechen aus dem Abkommen ausgeblieben ist. Der kolumbianische Frieden ist überaus blutig. Nicht nur wegen der ermordeten 242 Rebellen, die längst die Waffen abgegeben hatten. Sondern auch deshalb, weil sich die Gewalt verändert, verschoben und atomisiert hat. Es gebe zwar keinen Krieg „nationaler Tragweite“ mehr, wie er bis 2016 mehr als ein halbes Jahrhundert gewütet habe, schreibt die „Stiftung Ideen für den Frieden“ (Fip). Aber inzwischen gebe es viele lokale und regionale Konflikte in rund zwei Dritteln der 32 Departements des Landes. Treiber  seien „Kämpfe um die Vorherrschaft über Zweige der illegalen Ökonomie“. Dabei gehe es nicht mehr um Ideologie, sondern ausschließlich um Macht und Profit, befindet die Fip.

Das Vakuum, das die Farc nach Demobilisierung und Abzug aus ihren riesigen Einflusszonen seinerzeit hinterließen, hat nicht wie versprochen der Staat gefüllt, sondern andere illegale Gruppen wie die kleine Linksguerilla ELN, ultrarechte Paramilitärs oder Drogenkartelle. Insgesamt ist es mindestens ein Dutzend bewaffneter Gruppen, die in dem südamerikanischen Land um Routen und Reviere für Rauschgift und andere Waren kämpft. Hinzu kommen eben die vom Friedensprozess enttäuschten ehemaligen Farc-Rebellen, die erneut zu den Waffen greifen und sich Farc-Dissidenz nennen.

Wie unter einem Brennglas bündeln sich im südwestlichen Departement Cauca diese Probleme. Es ist eine strategische Region im komplexen Gewaltpanorama des Landes. Das Cauca ist eines der größten Koka- und Marihuana-Anbaugebiete, verfügt über reichlich Mineralien, Wasser und Kohle. Zudem ist die Region ein wichtiger Korridor zur Pazifikküste. Kurzum: Das grüne und bergige Departement ist wie eine Blaupause der Probleme Kolumbiens: Rauschgiftschmuggel, illegaler Bergbau, Landraub, Vertreibung. Und hier mischen alle illegalen Gruppen mit, sie zwangsrekrutierten Kinder und haben in den vergangenen Jahren mehr als 200 soziale Aktivisten wie Indigenen-Anführer, Gewerkschafter oder afrokolumbianische Vertreter oder eben die demobilisierten Farc-Kämpfer ermordet.

Anfang November empfing Kolumbiens rechter Präsident Iván Duque sogar eine Delegation der Demobilisierten im Präsidentenpalast, die zuvor über Wochen aus dem ganzen Land in einem Sternlauf nach Bogotá marschiert waren. Duque, ein brennender Gegner des Friedensabkommens, hörte sich die Klagen der Ex-Kämpfer an. Aber wirklich etwas für sie und gegen die Gewalt in den Provinzen hat auch er nicht getan.

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