Präsident Selenskyi im Amt In Kiew soll ein Drehbuch Wirklichkeit werden
Kiew · Zu Lachen haben die Gäste der feierlichen Amtseinführung des neuen ukrainischen Präsidenten nichts. Zwar ist Wolodymyr Selenskyj als Komiker berühmt geworden.
Doch am Montag gibt sich der mit 41 Jahren jüngste Staatschef der Ex-Sowjetrepublik im Parlament in Kiew betont ernst. Witze gibt es nicht.
Vielmehr löst der prowestliche Politiker zum Amtsantritt das Parlament auf; empfiehlt der Regierung, nicht immer nur zu schimpfen, ihr seien die Hände gebunden. Der Beifall im Plenarsaal hält sich in Grenzen. Draußen hingegen Begeisterung. Wie einen Star empfangen die Ukrainer Selenskyj bei strahlendem Sonnenschein.
Schon seit Jahren spielt er einen kecken Präsidenten, der sich unerschrocken die korrupte Machtelite vorknöpft. Auf der echten politischen Bühne soll das Drehbuch nun Wirklichkeit werden. Doch schon kurz nach seiner Antrittsrede schlägt dem Nachfolger des abgewählten Präsidenten Petro Poroschenko der Wind der politischen Realität ins Gesicht. Einige Minister weigern sich, ihre Sachen zu packen. Regierungschef Wladimir Groisman kündigte seinen Rücktritt an. Diskussionen gab es auch, ob die Lage im Parlament wirklich so verfahren ist, dass Selenskyj die Oberste Rada jetzt einfach auflösen durfte.Neuwahlen sind für ihn deshalb wichtig, damit seine bisher im Parlament nicht vertretene und nach der TV-Serie benannte Partei Diener des Volkes an der Abstimmung teilnehmen kann. Die Grenzen für den früheren Schauspieler sind offensichtlich. Er ist umgeben von Leuten des Oligarchen Poroschenko. Immer wieder kommt auch die Frage auf, wie stark Selenskyj selbst abhängig ist von dem Oligarchen Igor Kolomoiski, für dessen TV-Sender er gearbeitet hatte. Nicht zuletzt hat Poroschenko angekündigt, seinen Nachfolger im Auge zu behalten. Der Wahlverlierer vom 21. April ließ sich zum Ärger Selenskyjs auch bis zuletzt Zeit, seinen Platz zu räumen. Er verteilte noch ruhig Orden und Posten. Auch einen Stolperstein legte Poroschenko ihm noch in den Weg: Das umstrittene Sprachgesetz, das Ukrainisch in allen Sphären des öffentlichen Lebens zum Standard machen soll. Ausnahmen für die russischsprachigen Gebiete der Ostukraine oder gar sprachliche Autonomie – wie im Friedensplan von Minsk festgeschrieben – sieht das Gesetz nicht vor.
Und da wirkte es für manche aus Poroschenkos Lager bei der Amtseinführung wie ein Affront, als Selenskyj in seiner Rede in seine Muttersprache Russisch wechselte und den Menschen im Donbass auf diese Weise symbolisch die Hand reichte. Doch einfach zurücknehmen kann er das umstrittene Gesetz nicht. Auch außenpolitisch könnte Selenskyj nach seinem Höhenflug mit historischen 73 Prozent der Stimmen bei der Wahl schnell auf dem Boden der Tatsachen landen. Der russische Präsident Wladimir Putin hat bisher nicht gratuliert. Er wolle erst Fortschritte sehen im russisch-ukrainischen Verhältnis, sagte ein Kremlsprecher nach der Antrittsrede.
Nach Umfragen hat Selenskyj zumindest ein klares Mandat für direkte Verhandlungen mit dem Kreml und sogar mit den Chefs der Separatistenrepubliken Donezk und Luhansk selbst. Poroschenko lehnte diesen Dialog stets ab.
Während sich Selenskyj wie Poroschenko der breiten Unterstützung der EU und der USA sicher sein kann, dürfte sich am Umgang mit Russland für das Land viel entscheiden. Ganz akut ist etwa das Problem der Energieversorgung der Ukraine. Ende des Jahres laufen die 2009 nach dem russisch-ukrainischen Gaskonflikt geschlossenen Verträge aus. Russland hatte sich zuletzt zwar bereiterklärt, den Transit beizubehalten. Mit der neuen Ostseepipeline Nord Stream 2 aber wäre Russland künftig nicht mehr auf das Transitland Ukraine angewiesen.