Amerikas Angst vor den Flüchtlingen

Washington · Als die Bilder aus Ungarn um die Welt gingen, erinnerte Richard Durbin erneut an seinen Brief, mit einem Nachdruck, dem Verzweiflung anzumerken war. Bereits im Mai hatte der Senator aus Illinois, einst einer der Mentoren Barack Obamas, in einem Appell an den Präsidenten gefordert, eine deutlich höhere Zahl fliehender Syrer aufzunehmen, 65 000 bis Ende 2016.Da kein Ende des Blutvergießens abzusehen sei, möge Amerika zumindest bei der Linderung des Elends handeln, schrieb der Demokrat und gewann 13 seiner Senatskollegen als Mitunterzeichner.

Allein schon moralisch stehe Washington in der Pflicht. Geschehen ist seither wenig. Nach aktuellem Stand will das Weiße Haus bis Dezember 2016 maximal 8000 asylsuchende Syrer ins Land lassen, nachdem man seit Beginn des Bürgerkrieges in nur 1500 Fällen grünes Licht gegeben hat.

Schuld ist eine Bürokratie, deren Mühlen so langsam mahlen, dass die mitteleuropäische im Vergleich dazu wie ein Musterbeispiel an Effizienz wirkt. Bittet ein Syrer um Asyl, muss sein Begehren von einer kleinen Armada von Beamten geprüft werden, im State Department, im Ministerium für Heimatschutz, beim FBI , um nur die wichtigsten Stellen zu nennen. Bis zum Abschluss des Verfahrens können zwei Jahre vergehen, und vorläufig lässt nichts darauf schließen, dass die Behörden in einer akuten Krise bereit sind, flexibler zu handeln.

Was ihre Arbeit noch immer prägt, ist eine Art Wagenburgdenken, das mit dem Schock des 11. September 2001 Einzug gehalten hat. Die Angst, mit den Flüchtlingen auch nur einem einzigen potenziellen Terroristen die Türen zu öffnen, scheint schwerer zu wiegen als die Argumente, wie sie ein Richard Durbin ins Feld führt. "Ich kann kein Programm unterstützen, dass Dschihadisten in die Vereinigten Staaten bringen könnte", sagt Michael McCaul, ein Republikaner, der den Heimatschutz-Ausschuss des Repräsentantenhauses leitet.

Natürlich reibt sich die übertriebene, bisweilen an Paranoia grenzende Vorsicht am Credo einer Einwanderer-Nation, wie es die Worte der Dichterin Emma Lazarus auf dem Sockel der Freiheitsstatue symbolisieren: "Gebt mir eure Müden, eure Armen - Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturm Getriebenen". Es ist ein Kanadier, der Harvard-Professor Michael Ignatieff, der am prägnantesten aufzeigt, welcher Widerspruch zwischen Wort und Tat klafft. "Was werden die Syrer, die vor dem Budapester Bahnhof campieren, wohl halten von all der schönen Rhetorik über Menschenrechte und Flüchtlingsschutz?", fragte er in der "New York Times". "Wenn wir schon dabei gescheitert sind, in Syrien Frieden zu vermitteln, können wir nicht wenigstens den Menschen helfen, die auf den Frieden nicht länger warten können?"

Bereits die Senatoren um Durbin hatten stolze Traditionen in Erinnerung gerufen, die Dirigentenrolle, wie sie Amerika spielte, als es nach dem Zweiten Weltkrieg darum ging, ein grenzübergreifendes System der Flüchtlingshilfe zu schaffen. Nachdem die internationale Gemeinschaft auf tragische Weise versagt habe bei der Rettung der europäischen Juden, habe Washington damals das Heft des Handelns übernommen, blendeten die Briefschreiber zurück und riefen Obama auf, sich das Kapitel zu Herzen zu nehmen. 1956, nach der Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn, gab das Land Zehntausenden eine neue Heimat, im Schnellverfahren. Später kamen Hunderttausende "Boat People" aus Vietnam. Schon mit Blick auf die Vergangenheit ist zu erwarten, dass der Chor der Kritik an den Bedenkenträgern kräftig anschwellen wird.

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