Als „böser Polizist“ spielt Obama nur Theater

Washington · In dem Moment, in dem Angela Merkel und Barack Obama am Montag die Rednerpulte im Weißen Haus verließen und sich zu ihrem geplanten "Arbeitsessen" begaben, begannen die Spekulationen unter den anwesenden Journalisten: Was ist davon zu halten, dass der US-Präsident über Waffenlieferungen an die Ukraine derzeit noch nicht entscheiden wolle?

Vor allem aus Berlin mit angereiste Berichterstatter, die Obamas Denkweise nur aus der Distanz kennen, neigten folgender Interpretation zu: Die Kanzlerin habe ihren innenpolitisch bedrängten Gesprächspartner davon überzeugen können, dass Geduld und das Hoffen auf diplomatische Erfolge - etwa heute in Minsk - die beste Vorgehensweise seien. Und Obama habe ihr aus purer Höflichkeit nicht öffentlich widersprochen. Weshalb das Ergebnis des Treffens ein Erfolg Merkels sei.

Doch diese Auslegung ist unrealistisch und wohl auch mit deutschem Wunschdenken verbunden. Vielmehr deuten zahlreiche Fakten darauf hin, dass Obama und Merkel mangels wirklich guter Handlungs-Optionen bewusst ein Theaterstück mit dem Titel "Good cop, bad cop" inszenierten, das Moskau beeindrucken soll. Der US-Präsident erhielt dabei als "böser Polizist" verbal eine Drohkulisse aufrecht, die im Ernstfall - dem völligen Scheitern der Gespräche - zusammenbrechen würde. In Wirklichkeit ist Obama wohl ein enger Verbündeter Merkels, was die strikte Ablehnung von Waffenlieferungen angeht.

Was dafür spricht? Eine überwältigende Zahl von Indizien. So bemühte sich Obama zu unterstreichen, für wie aussichtslos er einen Versuch der Ukraine hielte, der russischen Militärmacht Paroli zu bieten. Zudem hatte sein Berater Ben Rhodes bereits öffentlich erklärt, man sehe weitere Waffen im Konfliktgebiet nicht als Lösungsansatz. Fast naiv ist der vielzitierte Hinweis, Obama müsse innenpolitisch Rücksicht nehmen: Der US-Präsident hat sich seit seinem Amtsantritt noch nie um die Interessen des beim Wähler verhassten Kongresses gekümmert - vor allem nicht um die Anliegen der Opposition. Auch die Meinung von Kabinettsmitgliedern oder die seines Vize Joe Biden hat ihn nie sonderlich interessiert. In der Vergangenheit zeigte sich Obama zudem extrem risikoscheu. So fand die zugesagte Bewaffnung "gemäßigter" Rebellen in Syrien erst mit fast einjähriger Verspätung statt, geliefert wurden lediglich Gasmasken und Pistolen.

Wie wenig Obama einer militärischen Unterstützung Kiews zuneigt, zeigt seine Antwort auf die Frage, ob es eine "rote Linie" im Verhalten Moskaus gebe, deren Überschreiten eine Waffenhilfe unabdingbar machen würde. Mit "roten Linien" hat Obama schlechte Erfahrungen: Seit er 2013 nach mehreren Giftgas-Einsätzen des syrischen Regimes vor dem bereits angekündigten Militärschlag gegen Assad in letzter Minute zurückschreckte, wirft ihm mancher Kritiker in den USA vor, seine Glaubwürdigkeit verspielt zu haben. Kein Wunder also, dass der Präsident nun in der Ukraine-Krise jede Festlegung vermied. "Es gibt keinen spezifischen Punkt, an dem ich sagen würde, dass tödliche Defensivwaffen angemessen sind", erklärte Obama. Und: "Unsere fortgesetzte Analyse wird zeigen, was wir tun können." So redet eher jemand, der Merkels Kern-Philosophie teilt: dass der Versuch, eine Krise zu lösen, viel Geduld und vor allem Zeit erfordert.

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