Alles klar, Herr Kommissar

Gestern und vorgestern wurde an dieser Stelle über den nächsten US-Präsidenten räsoniert. Davor war's die Lage der Stahlindustrie. Und jetzt der "Tatort". Soll man Fernsehkrimis wirklich so ernst nehmen? Was könnte so wichtig daran sein, dass Batic & Leitmayr in 25 Münchner Dienstjahren knittrig-grau wurden, Maria Furtwängler nach 14 Jahren als teuerste Ermittlerin - man sagt, 220 000 Euro Gage pro Folge - aber unvergänglich schön scheint?

Das ist deshalb so bedeutend, weil die ARD mit dem "Tatort" tatsächlich die einzige eierlegende Wollmilchsau des Fernsehens im Stall hat. Der "Tatort" ist Unterhaltung ist Lehrstück ist Zeitkritik. Und, von der Fußball-WM abgesehen, die letzte einende TV-Instanz in einer sich atomisierenden Medienzeit. Mehr als 13 Millionen schauen in der Spitze zu. Nicht nur daheim. Manche gehen zum "Tatort"-Gucken auch in die Kneipe oder ins Theater, wie in Saarbrücken in der Sparte 4. Kultfernsehen halt. Regelmäßig kochen die sozialen Medien über, etwa wenn sich die Dortmunder Kommissarin (Anna Schudt) einen Callboy ins Hotel bestellt oder Flüchtlinge Thema sind. In 999 Folgen, diesen Sonntag läuft Nummer 1000, hat das große Fernsehspiel seit 1970 alle Milieus der Republik ausgeleuchtet. Hat der "Scheiße" brüllende Schimanski die deutsche Beamtenschaft provoziert. Was Menschen hierzulande umtreibt, wird sonntags, 20.15 Uhr, exem plarisch durchgespielt. Ähnlich umfassend wie in der "Lindenstraße", bloß nicht so nervend gutmenschlich. Komplexes lässt sich den Deutschen leichter via "Tatort" denn über Bundestagsdebatten klar machen.

In 1000 Folgen hat sich der Krimi-Evergreen auch heftig abgenutzt. Ebenso zuverlässig jedoch erneuert, ein Phönix der Flimmerkiste. Was daran liegt, dass die ARD dabei alle Vorzüge ihrer Vielfalt nutzt. Große wie kleine Sender produzieren ihren "Tatort". So konnte sich das Fernsehformat mit Schimanski , aber auch mit Rumballerbubi Til Schweiger ins Kino aufschwingen. Es wurde gar zur Filmkunst - etwa 1977 mit Wolfgang Petersens "Reifezeugnis", vier Jahre vor dem "Boot". Immer wieder sonntags öffnet also auch ein unverzichtbarer Talentschuppen. Der "Tatort" kann sogar Tourismus-Marketing sein: In Münster sind Touren auf den Spuren von Prof. Boerne und Thiel der Hit. Was manche Landespolitiker hier auch gerne sähen. Nach dem Aus für Max Palu spricht das Irren und Wirren des SR aber kaum dafür, dass der Saar-"Tatort" bald wieder zur Marke reift.

Der enorme Erfolg der Reihe fällt auch mit den Jahrzehnten der größten Wirkmacht des Fernsehens zusammen. Wollte man so etwas heute neu erschaffen, es wäre unmöglich. Daher sollte die ARD ihr Wundertier auch mal rar machen. Und es nicht wahllos in Wiederholungen durch die TV-Manege treiben. Damit man es noch lange immer wieder gern sieht.

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