Ängste im Einwanderungsland

De utschland ist das zweitgrößte Einwanderungsland der Welt. In den großen Städten hat schon fast jedes zweite Kind einen Migrationshintergrund. Dennoch versteht sich die Bundesrepublik in weiten Teilen noch monokulturell.

Deutsche Leitkultur war vor nicht allzu langer Zeit ein Wahlkampfbegriff der großen Volkspartei CDU . Es war ein Abgrenzungsbegriff.

Politik und Bürger haben die Tatsachen viel zu lange verdrängt. Besonders im Osten des Landes ist nun der Kulturschock groß. Pegida, Legida und all die anderen Bewegungen sind - um es mit Ex-Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zu sagen - "Ausdruck der Ängste, die aus den dramatischen wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Veränderungen der Gegenwart resultieren". Natürlich wird das alles wohlwollend unterstützt von Neonazis. Aber das macht die Masse nicht aus, die sich nach Dresden nun auch in Leipzig gezeigt hat.

Der Migrationsbericht brachte gestern die Fakten über das Ausmaß der Zuwanderung, Legida lieferte die korrespondierende gefährliche Stimmung. Aber es gibt auch die Gegenbewegung, wie die zahlreichen Kundgebungen von Menschen zeigen, die Zuwanderung als Gewinn begreifen. Auf den Straßen zeigt sich eine riskante Polarisierung.

Deutschland muss sich endlich den Realitäten stellen. Die Mauern um das Land wieder hochzuziehen, was sich manche wünschen, wird freilich nicht funktionieren. Diese Republik ist so vernetzt wie kaum ein anderer Staat. Politisch mit der EU, ökonomisch mit der ganzen Welt. Davon leben wir. Wenn wir das aufgeben, können wir hier nur noch Steckrüben züchten.

Was einzig bleibt, ist der richtige Umgang mit der Zuwanderung. Es ist in den vergangenen Jahren schon viel geschehen, von den Integrationsgipfeln bis zur Islamkonferenz. Man ignoriert die Zuwanderung nicht mehr. Und man tut auch nicht mehr so, als regele sich alles schon bestens von allein. Dieser Ansatz muss entschlossen weiterentwickelt werden, auch in der Debatte mit jenen, die - anders als die meisten Legida-Demonstranten - tatsächlich im Alltag Probleme mit der Zuwanderung haben. In der Praxis funktioniert Integration nämlich noch längst nicht überall.

Zudem muss es neben dem grundgesetzlich garantierten Asyl- und Flüchtlingsschutz auch eine bewusste, gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften geben. Vielleicht nach einem Punktesystem oder nach anderen transparenten Kriterien. Mittelfristig braucht Deutschland diese Menschen sowieso aus demografischen Gründen, braucht, was sie an Wissen und neuer Kultur mitbringen. Ein Regelwerk wäre das Eingeständnis, dass Deutschland ein global vernetztes Einwanderungsland ist. Es wäre ein wichtiges Zeichen, gerade in Zeiten wie diesen.

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