Ägypten kommt vom Weg zur säkularen Demokratie ab

Kairo. Kaum mehr als ein Monat nach dem Sturz Präsident Mubaraks sind 40 Millionen Ägypter vom herrschenden Militärrat aufgerufen, einen entscheidenden Schritt zum "neuen Ägypten" zu machen. Eine Verfassungsreform wird am heutigen Samstag dem Volk zur Abstimmung präsentiert

Kairo. Kaum mehr als ein Monat nach dem Sturz Präsident Mubaraks sind 40 Millionen Ägypter vom herrschenden Militärrat aufgerufen, einen entscheidenden Schritt zum "neuen Ägypten" zu machen. Eine Verfassungsreform wird am heutigen Samstag dem Volk zur Abstimmung präsentiert. Sie soll den Weg zu Parlaments- und anschließenden Präsidentschaftswahlen ebnen und ein Ausscheiden der Streitkräfte aus dem politischen Geschehen garantieren.Das Referendum aber spaltet die Massenbewegung. 50 politische Gruppen stützen die Kampagne für das Nein zur Verfassungsreform. Auf ihren Websites dominieren Videos und Kommentare, die das Volk vor einer Neubelebung des autokratischen Systems warnen. Fast alle prominenten Oppositionellen - von Mohammed el-Baradei über Amr Moussa, die beide für die Präsidentschaft kandidieren wollen, bis zu säkularen Demokraten wie Ayman Nour - haben ihr Nein angekündigt.

Hingegen wirbt Ägyptens bestorganisierte Oppositionsbewegung, die Moslembruderschaft, entschieden für ein Ja, ebenso wie Menschenrechtsaktivisten und Wirtschaftskreise. Ein Teil der ägyptischen Geschäftswelt beklagt die starke Zunahme der Kriminalität seit dem Sturz Mubaraks und sehnt sich nach einem Ende des politischen Vakuums. Moslembrüder argumentieren mit der Notwendigkeit eines raschen Endes der Militärherrschaft - wie auch Menschenrechtler. Sie klagen, dass die Streitkräfte ihre Machtbefugnisse verletzt haben, insbesondere, weil sie Zivilisten von Militärgerichten aburteilen lassen.

Ein vom Militär bestelltes Komitee hat in nur zehn Tagen die Änderung von neun Verfassungsartikeln erarbeitet. Diese Reformen wurden drei Wochen lang öffentlich diskutiert. Viel zu kurz, klagt die Opposition, die zudem den Ausschluss vieler Sektoren der Gesellschaft aus dem Komitee bemängelt. Die Hauptkritik konzentriert sich aber darauf, dass nur wenige von der Opposition geforderte Veränderungen eingearbeitet wurden, wie die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei Vierjahres-Perioden (Mubarak herrschte drei Jahrzehnte), eine Lockerung der krassen Einschränkungen von Kandidaturen sowie die Überwachung der Wahlen durch Juristen. Vor allem aber wurden die außerordentlichen Machtbefugnisse des Präsidenten beibehalten. "Es ist die Verfassung einer Diktatur", klagt Baradei. Sie werde einen "neuen Mubarak" hervorbringen. "Facebook" wird überschwemmt von Kommentaren, die die Sorge darüber ausdrücken, dass sich der Militärrat zu einer Machtkonstellation aus Mitgliedern der drei Jahrzehnte lang herrschenden "Nationalen Demokratie-Partei" (NDP) Mubaraks und der Moslembruderschaft entschlossen habe. Darin sehe er eine größere Chance auf Stabilität als in einem Aufstieg der jungen, unerfahrenen Demokratie-Aktivisten. Zumal deren wahre Absichten nicht klar seien. Tatsächlich würden nach dem vom Militärrat vorgesehenen Szenario die binnen eines halben Jahres geplanten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Chancen neuer Parteien, die sich erst organisieren müssen, gegenüber der NDP und den Moslembrüdern enorm schwächen. Aus den Wahlen würde ein von den "Brüdern" dominiertes Parlament hervorgehen, das weitere Verfassungsreformen nach seinen Vorstellungen gestalten und die Chancen auf eine liberale, säkulare Demokratie zunichte machen würde.

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