Übernehmen Populisten die Macht? Das explosive italienische Experiment

ROM (dpa) Es ist ein noch nie da gewesenes Experiment, das im italienischen Labor derzeit vorbereitet wird. Ein Experiment, dessen Zutaten in letzter Sekunde gemischt werden. Ein Experiment auch für Europa: Zwei populistische Parteien mit vollkommen unterschiedlichem Profil raufen sich nun vermutlich doch noch zusammen und wollen gemeinsam an die Macht. Die Chancen, dass Italien eine Regierung aus der fremdenfeindlichen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung bekommt, standen seit der Wahl vor rund zwei Monaten noch nie so gut – auch wenn noch unklar ist, wer überhaupt den Regierungschef machen soll.

Es ist ein ungleiches Paar, das da versucht, erstmals gemeinsame Sache zu machen. Auf der einen Seite der polternde Mailänder Matteo Salvini, der die Lega von einer Abspaltungsbewegung des reichen Nordens zu einer nationalen Fremdenhass-Partei gemacht hat. Auf der anderen Seite der „Softie“ aus einem Vorort von Neapel: Der erst 31-jährige Luigi Di Maio, der versucht, die Fünf-Sterne-Partei von einer „Leck-mich“-Anti-Establishment-Bewegung (so das Motto von Parteigründer Beppe Grillo) in eine gemäßigte Kraft vor allem für die ärmeren Italiener zu verwandeln. Und der die Bewegung, die die Revolte von unten und Demokratie via Internet propagiert, erstmals in eine nationale Regierung führen würde.

Spekuliert wird, dass ein dritter Kandidat den Posten des Premiers übernimmt, Salvini ins Innenministerium und Di Maio ins Außenamt ziehen. Sollten sie es nun wirklich schaffen, ein Abkommen zu finden, droht weiter Ungemach. Gut möglich ist, dass das populistische Experiment am Ende in die Luft fliegt. Denn die Lega muss ihre Anhängerschaft im Norden bedienen: Das sind vor allem kleinere und größere Unternehmer. Ihr Herzensprojekt ist daher die „Flat Tax“, die die Steuerlast in Italien drücken soll. Die Sterne hingegen sind die Partei des „abgehängten“ Südens. Ihre Wähler wollen nun das im Wahlkampf versprochene Mindesteinkommen für alle umgesetzt sehen.

Außenpolitisch hat sich die Lega unter Salvini einen europa- und fremdenfeindlichen Anstrich gegeben. Arbeitsplätze zurück nach Italien holen, Italien von den Brüsseler „Machthabern“ befreien: so seine Rhetorik. Er will einen Stopp aller Migrantenankünfte in Italien. Sollte er wirklich Innenminister werden, dann wird er beweisen müssen, dass er nicht nur Parolen auf Twitter kann. Die Fünf Sterne haben in Fragen der Migration hingegen überhaupt kein klares Profil, schließlich finden sich in der Bewegung auch traditionelle Linke, aber auch Rechtswähler. Europapolitisch lauern auch Fallstricke. Während Salvini auf Konfrontationskurs mit Brüssel ist, fuhr Di Maio zuletzt einen Schmusekurs.

Ein Italien mit populistischer Regierung ist für viele eine bessere Option als ein Italien mit gar keiner Regierung, das sich in einen Strudel von Neuwahlen begibt. „Viele Investoren haben unmissverständlich klar gemacht, dass irgendeine Regierung immer noch besser ist als ständig unklare Wahlen“, sagt  Francesco Galietti von der Denkfabrik Policy Sonar. Italien kann sich als hoch verschuldetes Land und Sorgenkind Europas kein politisches Theater erlauben. Fraglich ist jedoch, wie Lega und Sterne ihre vollmundigen Versprechen auf dem riesigen Schuldenberg umsetzen wollen.

Am Ende hofft einer auf das schnelle Ende der populistischen Ehe: Silvio Berlusconi. Der Ex-Premier machte mit seinem überraschenden Rückzug neue Verhandlungen überhaupt erst möglich. Sollte die Regierung nicht aus der Taufe gehoben werden, sollte ihn niemand als „Alibi“ für das Scheitern benutzen, teilt er mit – nicht ohne List. Falls eine Lega-Sterne-Regierung schnell wieder kollabiert und im nächsten Jahr neu gewählt werden müsste, wäre Berlusconi zwar schon 82. Aber er dürfte nach einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung wieder kandidieren.

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