Rolle rückwärts China setzt auf den Staat, nicht auf den Markt

Shanghai · Vier Jahrzehnte nach Beginn der Reform und Öffnung steht China am Scheideweg. Der Handelskrieg mit den USA droht, sich in einen „neuen Kalten Krieg“ auszuweiten. Ein Kampf zweier Systeme: Die westliche freie Marktwirtschaft gegen das „China-Modell“ mit einer wieder wachsenden Staatswirtschaft.

 Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping.

Foto: dpa/Aly Song

Staats- und Parteichef Xi Jinping gefiel sich gestern zum Auftakt der ersten internationalen Importmesse (CIIE) in Shanghai zwar als verbaler Vorkämpfer des freien Welthandels. Doch wurde in seiner Rede vergeblich nach konkreten neuen Reformen für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde gesucht, die auch den Konflikt mit den USA entschärfen könnten.

„Wir meinen es ernst mit der Öffnung des chinesischen Marktes“, beteuerte der Präsident. Doch europäische Unternehmen in China sind nach Angaben der EU-Handelskammer längst „müde“, ständig neue Versprechen zu hören, ohne konkrete Taten zu sehen. Wie stark der Staat heute wieder überall mitmischt, beweist schon die Messe in der ostchinesischen Hafenmetropole. Wegen des Handelsstreits mit den USA organisierte die kommunistische Führung das Propaganda-Spektakel, allein um zu demonstrieren, dass Chinas Markt doch ganz offen ist und Anstrengungen unternommen werden, die Einfuhren zu steigern. Etwa 3600 Unternehmen aus rund 130 Ländern stellen bis diesen Samstag aus.

Vier Jahrzehnte Reform und Öffnung haben dem Land seit 1978 einen beispiellosen Aufschwung beschert, doch bewegt sich China vielfach wieder rückwärts, wie ausländische Geschäftsleute beklagen. So sehen die Botschafter Deutschlands und Frankreichs, Clemens von Götze und Jean-Maurice Ripert, die Zeit für „mutige Reformen“ gekommen: „40 Jahre nach dem Start sollte China der Reform und Öffnung frische Impulse geben und neuen politischen und wirtschaftlichen Schwung für ausländische Unternehmen schaffen“, schrieben sie im Wirtschaftsmagazin „Caixin“.

Viel zu lange beklagen ausländische Unternehmen Marktbarrieren, langwierige Lizenzverfahren, Diskriminierung gegenüber chinesischen Firmen, Behördenwillkür, Benachteiligung bei öffentlichen Ausschreibungen oder dreisten Technologieklau. Die Europäer sind sich in ihren Klagen mit den Amerikanern einig. Die Strafzölle von US-Präsident Donald Trump halten sie aber nicht für das geeignete Mittel, sondern würden lieber gemeinsam im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) gegen China vorgehen.

Doch Xi Jinping hat womöglich gar nicht vor, Konzessionen zu machen und wahre Reformen einzuleiten. Fakt ist: In den sechs Jahren seit seinem Amtsantritt hat Xi bereits beschlossene Reformen zurückgedreht. Und auch in seiner gestrigen Rede blieb es bei allgemeinen, oft gehörten Versprechen: China wolle die Einfuhren erhöhen, den heimischen Konsum steigern, Importhürden verringern sowie den Marktzugang und den Schutz der Urheberrechte verbessern. Mit keinem Wort ging Xi auf den Handelskrieg ein und sprach sich nur allgemein gegen Unilateralismus im Welthandel aus, was auf Trumps „Amerika zuerst“-Politik zielte.

Aus Sicht von Xi ist China mit seinen 1,3 Milliarden Verbrauchern von einem Handelskrieg ohnehin nicht zu erschüttern: „Die chinesische Wirtschaft ist kein Teich, sondern ein Ozean“, sagte Xi. „Kräftige Winde und Stürme können einen Teich durcheinanderwirbeln, aber niemals einen Ozean.“

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