1000 Peitschenhiebe für die Meinungsfreiheit

Straßburg · "Ich war von einer jubelnden Menschenmenge umringt, die immer wieder Allahu akbar (Allah ist groß, d. Red.) rief", beschrieb Raif Badawi die gespenstische Szene, als er den ersten Teil seiner Strafe bekam: 50 von insgesamt 1000 Peitschenhieben.

Gestern sprach das Präsidium des Europäischen Parlamentes in Straßburg dem 31-jährigen saudiarabischen Blogger den international angesehen Sacharow-Preis zu. Die Auszeichnung, die an den russischen Bürgerrechtler Andrej Sacharow erinnert, wird seit 1988 vergeben und an Persönlichkeiten oder Organisationen verliehen, die sich für Menschenrechte und Grundfreiheiten einsetzen.

Badawis Kampf gegen das Regime begann 2008. Damals gründete er im Internet das Forum "Die saudischen Liberalen", eine Webseite über Politik und Religion in seiner Heimat. "Säkularismus ist die einfachste Lösung, um Länder aus der dritten Welt (unseres mit eingeschlossen) in die erste Welt zu bringen", schrieb der Internet-Aktivist in einem Beitrag vom 28. September 2010. "Staaten, die auf Religion basieren, beschränken ihre Völker auf einen Kreislauf von Glaube und Angst", heißt es an anderer Stelle des Blogs, in dem sich Badawi auch für Toleranz anderer Religionen aussprach. Während des arabischen Frühlings lobte er den Kampf für Demokratie und Freiheit: "Das ist ein entscheidender Wendepunkt - nicht nur in der Geschichte Ägyptens, sondern überall dort, wo die arabische Mentalität von Diktatur und Sicherheit herrscht."

Nur wenig später begannen die Repressalien. Erst gab es Reiseverbote, dann wurde seine Konten eingefroren. 2012 begann der Prozess gegen ihn. Ein islamisches Rechtsgutachten erklärte ihn zum "Ungläubigen", der Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig bezeichnet habe. Damit, so die Anklagebehörde, habe er gegen ein 2014 erlassenes Gesetz verstoßen. Die Strafe: sieben Jahre Haft und vier Mal 150 Peitschenhiebe, verteilt auf 20 Wochen. Nur wenig später erweiterte ein anderes Gericht die Strafe auf 1000 Peitschenhiebe, zehn Jahre Haft und eine Geldbuße von 194 000 Euro. "Nach dem Freitagsgebet kommen sie und holen ihn oder eben nicht. Die Kinder und ich sind jedes Mal wie gelähmt. Wir weinen dann zusammen", erzählte Badawis Ehefrau Ensaf Haidar.

Nach der ersten öffentlichen Auspeitschung war Badawi so schwer verletzt, dass ein Mediziner die weitere Verabreichung der Strafe aussetzen ließ. Haidar floh inzwischen mit den Kindern nach Kanada. "Mit der Verleihung des Sacharow-Preises an Raif Badawi unterstreicht das Europäische Parlament seine Unterstützung für die Meinungsfreiheit als ein fundamentalen Menschenrecht", kommentierte Präsident Martin Schulz die Auszeichnung. "Raif Badawi ist ein starker Kämpfer für die Freiheit. Der Sacharow-Preis ehrt seinen Mut", erklärte der Vizepräsident der Abgeordnetenkammer, Alexander Graf Lambsdorff . In Straßburg hieß es gestern, man hoffe, den Preis im Dezember an Frau Haidar übergeben zu können. Das Preisgeld von 50 000 Euro wird sie wohl für die weiteren Bemühungen um die Freilassung ihres Mannes einsetzen.

Die Hoffnung, dass die strenggläubigen Wahhabiten, die im saudiarabischen Königshaus noch immer das Sagen haben, Badawi begnadigen und er selbst vor den Abgeordneten erscheinen kann, scheint gleich null.

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