Leitartikel Bei dieser Bayern-Wahl ist wirklich alles möglich

Trumps Wahl, der Brexit: Es gibt viele Gründe, Umfragen zu misstrauen. Darin liegt auch eine der letzten Hoffnungen der CSU vor der bayerischen Landtagswahl am Sonntag.

Zeitenwende in Bayern: Bei dieser Wahl ist wirklich alles möglich
Foto: SZ/Robby Lorenz

Die seit 60 Jahren regierende Partei wird seit Wochen so schwach bewertet, dass man klar sagen muss: Würde sie wieder die absolute Mehrheit erringen, sollten sich die Meinungsforscher einen neuen Beruf suchen und ihre Institute zusperren.

Schwache Hoffnungen der CSU beruhen zudem auf dem hohen Anteil der immer noch unentschiedenen Wähler und der Angst vor Veränderungen. Sind die Unentschlossenen wirklich bereit, den stabilen Freistaat in Chaos zu stürzen, indem sie ihm eine mehr oder weniger handlungsfähige Koalition, womöglich mit drei Partnern aufzwingen? Und obendrein Bayern in Berlin schwächen? Im Wahlkampf-Endspurt war dies eine zentrale Botschaft von Ministerpräsident Markus Söder.

Doch Angst vor Veränderungen zu machen, funktioniert in Bayern nicht mehr so richtig. Zumal gerade die CSU den Menschen bei jeder Gelegenheit Flexibilität eintrichtert. Wer sich nicht verändert, wird verändert, heißt die Botschaft mit Blick auf die Umwälzungen in der Wirtschaft und auf dem Arbeitsmarkt. Da also sollen Veränderungen gut, ja unvermeidlich sein, in der bayerischen Staatsregierung aber nicht? Dahinter steht immer noch ein wenig die selbstherrliche Einschätzung von Franz Josef Strauß, die CSU könne das bisschen Opposition auch noch gleich selbst mit erledigen. In letzter Zeit war das ja auch so.

Den Nimbus der Einzigartigkeit hätte die CSU ohnehin früher oder später verloren, sagen Politikforscher. Denn die Zersplitterung der Gesellschaft lässt die Volksparteien dahinschmelzen wie Speiseeis im Hitzesommer 2018. Das Wählerpotenzial der CSU wird gleich von drei Gegnern – Freie Wähler, FDP und AfD – ins Visier genommen. Viele Zugezogene fühlen sich der Gleichung „Bayern gleich CSU“ nicht mehr verpflichtet. Die junge städtische Wählerschaft hat sich weit vom christsozialen Gedankengut entfernt. In manchen Vierteln scheint Grün das neue Schwarz zu werden. Freilich hat die CSU den generellen Erosionsprozess durch einen unglücklichen Kurs in den letzten zwei Jahren noch zusätzlich beschleunigt.

Im Kanzleramt mag wegen der Probleme der zurzeit ungeliebten Schwesterpartei klammheimliche Freude herrschen, was freilich kurzsichtig wäre. Denn ohne die stets überdurchschnittlichen Wahlergebnisse der CSU in Bayern wäre die Union bundesweit noch erheblich schwachbrüstiger. Wenn die Berliner Koalition zerbrechen und Neuwahlen fällig würden, droht der Union insgesamt ein historisches Desaster, wie es die SPD schon erfahren hat. Auf der anderen Seite steht zu erwarten, dass eine gestutzte CSU auf Bundesebene nicht mehr so querulatorisch agiert.

Nichts ist am Sonntag unmöglich, nicht einmal ein vorgezogenes politisches Halloween in Gestalt eines Vier-Parteien-Anti-CSU-Bündnisses unter einem grünen Ministerpräsidenten. Der Blick auf das Nachbarland Baden-Württemberg zeigt, wie es kommen kann.

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