Brexit-Gespräche zwischen Brüssel und London Es geht um viel mehr als nur um die Wirtschaft

Das Bild der tickenden Uhr wurde in den Brexit-Dramen der vergangenen Jahre so häufig bemüht, dass es ausgeschöpft erscheint. Dabei passt es zurzeit mehr denn je. Die ultimative Deadline ist am 31. Dezember.

 Katrin Pribyl

Katrin Pribyl

Foto: SZ/Robby Lorenz

Dann läuft die Übergangsphase aus, in der wirtschaftlich de facto alles gleich blieb in der Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Was kommt – oder vielmehr, was droht Europa im neuen Jahr? Scheitern die Gespräche und gibt es einen von Unternehmen befürchteten harten Bruch mit steigenden Zöllen, Grenzkontrollen, Chaos, Lkw-Staus und großem bürokratischem Aufwand?

In London wie in Brüssel herrscht vorsichtiger Optimismus, dass sich die beiden Verhandlungspartner doch noch auf den letzten Metern auf ein Freihandelsabkommen einigen können. Aber auch wenn ein Vertrag als wahrscheinlich gilt, gewiss ist dieser Ausgang keineswegs. Die Verhandlungen werden insbesondere von britischer Seite weniger von Vernunft denn von Emotionen geleitet. Das Versprechen von Unabhängigkeit, Souveränität, Kontrolle übertrumpft den gesunden Menschenverstand. Andernfalls hätte Premierminister Boris Johnson im Juni die Übergangsphase verlängert, auch weil die Welt mit einer Pandemie zu kämpfen hat, die ablenkt und Ressourcen bindet.

Inmitten der Covid-19-Krise das künftige Verhältnis zwischen der EU und dem Königreich neu zu definieren, galt stets als Harakiri-Unterfangen. Das zeigte sich nun erneut, da seit Donnerstag wegen eines Corona-Falls in der EU-Delegation die Gespräche vorerst nur virtuell fortgesetzt werden können. Auch wenn vordergründig stets die Knackpunkte angeführt werden, die sich um die Garantien für einen fairen Wettbewerb, die Frage der Aufsicht über das Abkommen sowie um das sensible Thema der Fischerei drehen. Dass es bislang nicht zum Durchbruch kam, hat vor allem politische Gründe. Johnson präsentiert sich als Zocker. Und die EU sträubt sich ebenfalls nachzugeben. Wer zuckt zuerst?

Johnson will vor dem Volk, aber vor allem den Hardlinern in den eigenen konservativen Reihen den Macher markieren. Das Land taumelt derweil in Richtung Abgrund. Die Europäer auf der anderen Seite des Ärmelkanals scheinen mittlerweile genug von den Faxen zu haben, obwohl auch sie nur verlieren können. Man bereite sich auf das No-Deal-Szenario vor, heißt es gebetmühlenartig.

Doch bei einem Scheitern der Gespräche würden im Januar die Schuldzuweisungen beginnen. Eine unschöne Vorstellung. Die Atmosphäre zwischen den Partnern wäre vergiftet, das Verhältnis erst einmal auf Eis gelegt, die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen denkbar schlecht. Dabei werden die Gespräche weitergehen, egal, was in den nächsten Wochen passiert. Mit einem Abkommen würden sie nur unter positiveren Vorzeichen stattfinden, was umso bedeutender ist, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Großbritannien und die restlichen EU-Mitglieder sowohl Nachbarn als auch enge Verbündete und Handelspartner bleiben.

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