Wahlerfolg für Selenskyj Ein Wahl-Triumph mit Risiken in der Ukraine
Er hat es geschafft. Hat mit seinen „normalen, frischen Gesichtern“ im Handumdrehen die absolute Mehrheit im Parlament in Kiew erobert, so viele Stimmen geholt wie in all den Jahren, seit die Ukraine ein unabhängiges Land geworden ist, keine Partei in der Werchowna Rada auf sich vereinen konnte.
„Diener des Volkes“, mehr Polit-Projekt denn Partei des ukrainischen Präsidenten Wladimir Selenskyj, spurt – kaum ist es gegründet worden – mit seinen knapp 250 Sitzen im Parlament den Weg zu einem Umbruch in der Ukraine vor.
Der Austausch der ukrainischen Elite hat nun begonnen. Die Wahl hat die alte Garde der Parlamentarier hinweggefegt. Mehr als die Hälfte der gewählten Abgeordneten sind Polit-Neulinge. Anwälte, TV-Produzenten, Aktivisten. Sie stärken dem ebenfalls als Neuling angetretenen Präsidenten den Rücken. Selenskyj wird über mehr Machtfülle verfügen als sein Vorgänger Petro Poroschenko. Es beginnt eine „Politik ohne Politiker“, wie der 41-jährige Präsident mit seiner populistischen Art immer wieder betonte, ohne in seinen Plänen konkret zu werden. Dieses Vorgehen erst schaffte eine Euphorie im Land, auf der Selenskyj und nun auch seine Partei schwimmen. Da er in seinen Ankündigungen stets vage blieb und eine Art Marke für sich und seinen Politik-Stil erfand – „Se“ –, fanden sich viele unterschiedliche Ukrainer darin aufgehoben. Schwierig war das nicht, denn die meisten Menschen im Land wollen „ein besseres Leben“. Ein Leben ohne Korruption, ohne Armut, ohne Oligarchie und ohne Krieg. Das alles versprach Selenskyj. Das alles muss er nun liefern – einen mächtigen wie kaum beweglichen Nachbarn Russland im Rücken.
In den kommenden Wochen wird sich zeigen, welches Machtsystem der einstige Komiker um sich bauen wird. Wie seine Regierung aussehen wird. Wen er zum Premier macht. Ein „unabhängiger Ökonom“ soll dieser sein, hatte Selenskyj bei seiner Stimmenabgabe bereits am Sonntag verkündet. Ein der Politik ferner Wirtschaftsguru aber muss dennoch eine gewisse Politik umsetzen. Das ukrainische Experiment ist erst im Aufbau. Ein Versuch des politischen Neuanfangs, dem Politologen in Kiew einen Zeitrahmen von bis zu sechs Monaten geben, sonst sei das Fenster für Erneuerungen wieder geschlossen. Die Menschen verlangen nach Reformen, ermüdet auch vom Krieg im Osten ihres Landes haben sie kaum mehr Geduld – und setzen, wie sie oft im postsowjetischen Raum, auf eine Art Messias. Hoffnung und Enttäuschung liegen dabei nah beieinander.
Selenskyjs ungewöhnlicher Durchmarsch ist ein Triumph mit Risiken. Nicht nur, weil die offen prorussische Oppositionsplattform zur zweitstärksten Kraft wurde. Die größere Gefahr für den obersten „Volksdiener“ der Ukraine besteht in seiner eigenen Partei. Da die Mitglieder Polit-Neulinge sind, die sich teils mit widersprüchlichen Positionen bei „Diener des Volkes“ zusammenfanden, könnte sich allzu schnell eine Opposition innerhalb dieser äußerst diversen Bewegung bilden und so ebenfalls Gesetzesprojekte blockieren.