Wahl zur Kommissionspräsidentin Von der Leyen muss schwere Flurschäden beseitigen
Ursula von der Leyen hat es geschafft. Aber der Preis für ihren Aufstieg zur ersten Frau an der Spitze der wichtigsten EU-Behörde ist hoch. Zurück bleibt ein Europäisches Parlament, in dem der Streit um das Personalkonzept der Union schwere Flurschäden hinterlassen hat.
Das zeigt das denkbar knappe Ergebnis. Noch im Wahlkampf durfte sich die Volksvertretung als das wichtigste demokratische Instrument dieser Gemeinschaft anpreisen – mit der Lizenz zur Besetzung des Chefpostens der Kommission. Doch es wurde zu oft vergessen, den wichtigen Satz hinzusetzen, dass auch Spitzenkandidaten über fehlende Mehrheiten straucheln können. Die Wut derer, die die neue Kommissionschefin nur deshalb nicht unterstützt haben, weil sie damit die Staats- und Regierungschefs treffen wollten, ist groß – und sie stehen für die mindestens ebenso breite Enttäuschung der Wähler, die sich getäuscht fühlen.
Von der Leyen war an dem Tabubruch, der zu ihrer Nominierung führte, zwar nicht beteiligt, aber sie muss ihn heilen. Denn die europäischen Institutionen dürfen sich nie wieder dermaßen zerfleischen. Sollten die Staats- und Regierungschefs und allen voran Emmanuel Macron und Viktor Orbán geglaubt haben, dass sie den Spitzenkandidaten-Prozess auf kaltem Wege erledigen können, werden sie lernen müssen, dass sie einem Irrtum erlegen sind. Dieses demokratische Element der Mitbestimmung über europäische Führungsfiguren wird nunmehr umso sicherer fest verankert. Die EU-Abgeordneten werden eine vertragliche Vereinbarung zum Prüfungsfall für von der Leyen machen. Und das ist nur eine von vielen, höchst unangenehmen Aufgaben, vor denen sie nun steht. Dabei muss die CDU-Politikerin zweifellos anders agieren als sie dies noch als Ministerin und Bundeskanzlerin Angela Merkel getan hat. Wegducken, nebulöse und vage Nichtfestlegungen helfen weder beim Klimaschutz noch bei der Rechtstaatlichkeit oder der Beseitigung von Demokratie-Defiziten weiter. Von der Leyen stand bisher nicht in dem Ruf, programmatische Positionen einzunehmen. Das muss sie nun ändern.
Die Wellen dieser Wahl in Straßburg schlagen bis in die Bundeshauptstadt. Weder die Grünen noch die Sozialdemokraten haben eine überzeugende Figur gemacht. Dass sie von der Leyen vorwarfen, sich von rechtsnationalen Regierungen wie der polnischen wählen zu lassen, während sie sich an die Seite der italienischen und französischen Rechten stellten, um von der Leyen zu verhindern, ist als politisches Signal zumindest schwer zu vermitteln. Im Gebälk der großen Koalition knirscht es nicht erst seit diesem Dienstag gewaltig. Dass die Sozialdemokraten derart hartnäckig einer Kandidatin des Regierungspartners an den Karren fahren, ist keine Kleinigkeit.
Aber auch die Grünen haben sich so wenig nachvollziehbar verhalten, dass sich nicht wenige Unionsvertreter inzwischen fragen, ob sie als verlässlicher Partner in einem künftigen Bündnis infrage kommen.