Der Briten-Schock May darf die Botschaft der Wähler nicht ignorieren

Erst vor wenigen Tagen noch stand Theresa May in einer Lagerhalle und machte Wahlkampf. Die Premierministerin, stets als roboterhaft verspottet, sollte es menscheln lassen. Das Problem: Die Arbeiter wurden nach Hause geschickt und durch konservative Aktivisten ersetzt.

Wahl-Schock für May in London
Foto: Lorenz

Die Szene steht symbolisch für ihren Wahlkampf – ein Rohrkrepierer. May speiste ihre Wähler auf herablassende Weise mit Leerformeln ab. Sie war sich ihrer Zustimmung so sicher, dass sie sich sogar weigerte, mit ihrem Kontrahenten Corbyn in einer direkten TV-Debatte aufzutreten. Stattdessen wollte sie einen Blankoscheck für die Brexit-Verhandlungen, inszenierte sich als starke Führungsfigur, die Brüssel und Einwanderern mit Härte gegenübertritt.

 Können sich die Briten mit diesem Bild wirklich identifizieren? Ein großer Teil offenbar und glücklicherweise nicht. Vielmehr wollten sich die Menschen nach Monaten voller Plattitüden nicht länger zum Narren halten lassen. Mays Hochnäsigkeit rächte sich genauso an der Urne wie die Kampagne, die vor allem aus persönlichen Angriffen auf den politischen Gegner und aus Angstmacherei bestand. Antworten auf drängende Fragen, wie etwa die Krise des Gesundheitssystems gelöst werden soll, blieb sie schuldig. Stattdessen stand plötzlich die Fuchsjagd wieder oben auf der Agenda.

Ja, die Konservativen halten noch immer die Mehrheit. Aber innerhalb der Partei schäumen sie vor Wut. Es scheint ausgeschlossen, dass Theresa May eine volle Legislaturperiode in der Downing Street überlebt. Sie hat zu hoch gepokert. Keine andere Partei geht so schonungslos mit ihren Vorsitzenden um, wenn diese nicht in ihrem Sinne liefern. Und von May hatten die Konservativen nichts weniger erwartet als einen historischen Erfolg und die endgültige Zerstörung der Labour-Partei, die noch vor zwei Monaten am Boden lag.

Es darf davon ausgegangen werden, dass Minister hinter den ehrwürdigen Mauern von Westminster bereits Pläne schmieden, wie und wann die Regierungschefin geschasst wird. Dass May gestern abermals betonte, allein sie könnte dem Land Stabilität in diesen unsicheren Zeiten geben, zeugt von Realitätsverlust. Sie setzte rücksichtslos und aus Eitelkeit eine Wahl an, die keiner wollte. Ihretwegen lagen die Brexit-Vorbereitungen wochenlang auf Eis. Dabei steht dem Königreich eine Herausforderung bevor, die größer nicht sein könnte. Die Politik hat es sträflich versäumt, der britischen Bevölkerung Details zum EU-Austritt vorzulegen oder zumindest damit zu beginnen, das schiere Ausmaß der Scheidung zu skizzieren. Die Kritik schließt beide großen Parteien ein.

Doch es steckt eine Botschaft in dem jetzigen Votum. Dass etliche Jungwähler mit ihrer Stimme für Corbyn auch gegen Mays angepeilten harten Bruch mit Brüssel votiert haben, darf nicht ignoriert werden. May wollte die Opposition praktisch entmachten. Sie hat das Gegenteil erreicht. Das ist die eine gute Nachricht aus einem Land im Chaos-Zustand.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort