Leitartikel Deutschlands Wirtschaft hat nicht in Drachenblut gebadet

Hat man wirklich gedacht, Deutschland sei der quasi unverletzliche Siegfried der Weltwirtschaft?  Wachstumsjahre in Serie, egal was da draußen passiert? Dieser naive Glaube geht langsam zu Ende.

Wachstumsprognose: Deutschlands Wirtschaft hat nicht in Drachenblut gebadet
Foto: SZ/Roby Lorenz

Die reduzierte Konjunkturprognose der Bundesregierung liefert einen Vorgeschmack auf das, was da noch viel wuchtiger kommen kann. Die Schwachstelle der deutschen Wirtschaft ist nicht klein wie das Lindenblatt auf der Schulter des Nibelungen-Helden. Sondern so groß wie der ganze Mann. Es ist die Verwobenheit mit nahezu allen Ebenen der Weltwirtschaft.

Die Einschläge kommen näher. Just während der Bekanntgabe der Herbstprognose erlebten die Aktienmärkte einen mittleren Crash. Aktienkurse spiegeln Erwartungen an die nächste Zukunft wider. Und die steht nicht mehr in den Sternen, sondern wird immer klarer: Global ist es der ausufernde Handelskrieg zwischen den USA und China. Die Gefahr, dass es auch einen transatlantischen Handelskrieg geben wird, ist keineswegs gebannt. Das ist Gift für die exportorientierte deutsche Wirtschaft.

Es gibt weitere Großrisiken. Dazu zählen die überhitzen Finanzmärkte. Riesige Geldströme suchen immer hektischer lukrative Anlagen, was zur Blasenbildung auf Teilmärkten führt. Bei Immobilien etwa oder bei Kryptowährungen. Politisch gibt es Konfrontationen auf vielen Ebenen, von denen nicht klar ist, ob sie alle unter Kontrolle bleiben. USA-Russland, Europa-Russland, USA-Iran, Iran-Israel, Türkei-Syrien, China-Japan, Korea.

In Europa wachsen andere Gefahren. Brexit, Italiens Defizit, die zunehmende politische und bald auch wieder kulturelle Entfremdung zwischen den EU-Partnern. Die Populisten prägen die Stimmung, der Kontinent driftet auseinander und wird handlungsunfähiger. Dazu kommen die hausgemachten Fehler Deutschlands. Das Verschlafen der digitalen Zukunft. Die Schwäche der Autoindustrie, die sich ins technologische Abseits manövriert hat. Der weiterhin große Niedriglohnsektor und die nach wie vor hohe Belastung mit Steuern und Abgaben, die den Privatkonsum dämpfen. Die hiesige Wirtschaft ist stark. Aber nicht unverwundbar.

Der Liste der Risiken müsste eine Liste der politischen Aktionen gegenüber stehen. Weltweit ist da wenig zu sehen, denn die internationalen Institutionen, ob WTO oder Uno, sind gelähmt. Europa funktioniert mehr schlecht als recht, und das vielleicht auch nur noch bis zur Europawahl im nächsten Sommer. Und Deutschland? Das hat sich nach einer quälend langen Koalitionsbildung zwei große Regierungskrisen gegönnt, von denen schon bald keiner mehr wissen wird, worum es ging. Dabei müsste Deutschland jetzt alles tun, um sich zu immunisieren, es müsste sozusagen in Drachenblut baden wie weiland Siegfried. Jedenfalls ein bisschen.

Dazu gehören die Stärkung der Binnennachfrage und des privaten Konsums, Entlastungen der Wirtschaft, das Vorziehen von Zukunftsinvestitionen und Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel. Wirtschaftsminister Altmaier sieht das alles durchaus. Doch ist er nur ein recht einsamer Rufer in der Wüste. Ein viel zu leiser noch dazu.

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