Brexit-Verhandlungen Großbritannien hat den Brexit schon jetzt vermasselt

Der Brexit überfordert Großbritannien. Von den Versprechungen und Verheißungen, mit denen die Pro­tagonisten der Eigenständigkeit für die Insel in das Referendum gezogen sind, ist ein gutes Jahr später nichts mehr übrig. Monatelang hat sich das Vereinigte Königreich von Schlagworten wie „harter“ oder „weicher“ Ausstieg lähmen lassen, anstatt eine nüchterne Bestandsaufnahme der Verhandlungsmasse zu erstellen und zu einer Position zu finden.

ÜS
Foto: SZ/Robby Lorenz

Der Brexit überfordert Großbritannien. Von den Versprechungen und Verheißungen, mit denen die Pro­tagonisten der Eigenständigkeit für die Insel in das Referendum gezogen sind, ist ein gutes Jahr später nichts mehr übrig. Monatelang hat sich das Vereinigte Königreich von Schlagworten wie „harter“ oder „weicher“ Ausstieg lähmen lassen, anstatt eine nüchterne Bestandsaufnahme der Verhandlungsmasse zu erstellen und zu einer Position zu finden.

Diese Phase scheint zwar vorbei. Kurz vor der neuen Gesprächsrunde, die gestern begann, gingen gleich mehrere Positionspapiere aus London in Brüssel ein. Intern heißt es, die Dokumente zeugten eher von Blauäugigkeit denn von echtem Willen zur Einigung. Praktisch alle drei wichtigen Themen für die erste Phase der Trennung – das Bleiberecht für EU-Bürger auf der Insel, die Grenze zwischen Irland und Nordirland sowie die Zahlungen für eingegangene Verpflichtungen – wurden darin ebenso uneinsichtig wie abweisend behandelt. Offenkundig auch noch juristisch fehlerhaft. Dennoch ist die Schlacht erst einmal eröffnet.

Dabei macht Großbritannien Fehler – viele kleine, aber vor allem einen großen: Die Regierung von Theresa May lässt sich nicht von dem Interesse der Menschen, deren Zukunft da gerade entscheidend bestimmt wird, leiten, sondern vom einem wirren Kampf gegen das „System EU“. Im Mittelpunkt scheint nicht die Gestaltung der Unabhängigkeit, sondern das bloße Faktum der Abtrennung von Europa zu stehen. London bemüht sich nicht um Kompromisse. Dabei hätten May und ihre Unterhändler längst umschwenken müssen, um ein Konzept zu erstellen, bei dem Abtrennung und Zusammengehörigkeit sich die Waage halten – schon allein um die andere Hälfte der eigenen Bevölkerung nicht auszugrenzen.

Es sind jene, die vom Brexit nichts (mehr) wissen wollen, die erst in diesen Tagen eine Eingabe an das Parlament machten, um mehr als Hälfte der gemeinsamen europäischen Rechtsvorschriften zu erhalten. Das wäre so etwas wie eine Basis für eine funktionierende Nachbarschaft. Doch die verblendeten Brexit-Befürworter wollen davon nichts wissen. Ihre Strategie einer vollkommenen Trennung mit anschließender Wiedervereinigung auf einem gemeinsamen Markt wird nicht aufgehen. Darüber wacht nicht zuletzt das EU-Parlament, ohne dessen Votum am Ende gar nichts gehen wird. Die Abgeordneten denken europäisch, sie achten darauf, dass es in den Verhandlungen nicht zu Verschiebungen kommt: Die EU-Bürger auf der Insel bleiben Europäer. Deshalb wird der Luxemburger Gerichtshof für sie auch künftig zuständig sein. Wie London, das sich von der Herrschaft eines europäischen Obergerichtes befreien wollte, diese Kröte schlucken soll, ist völlig unklar.

Theresa May hat eine wichtige Chance verpasst. Anstelle eines tragfähigen Konzeptes hat sie eine Ideensammlung voller Positionen vorgelegt, die keine Kompromisse ohne Gesichtsverlust realistisch erscheinen lassen. Das macht sie schon am ersten Tag der Detail-Verhandlungen zur Verliererin.

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