Leitartiekl Der Brexit beschert der EU einen neuen Frühling

Meinung · Theresa May ist gescheitert. Ihr Versuch, mit einer Initiative zum Bleiberecht der EU-Ausländer auf der Insel die Initiative für die Brexit-Verhandlungen zurückzugewinnen, ging nach hinten los. Sollte die britische Premierministerin geglaubt haben, sie könne mit einem „fairen und ernsthaften Angebot“ die Fäden wieder an sich ziehen, wurde sie schnell eines Besseren belehrt.

 Format: jpg KK-Detlef Drewes

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Foto: Lorenz

Mehr noch. Die zu Hause angeschlagene Regierungschefin musste auch in Brüssel erleben, dass die Union ohne sie weitermarschiert und die Sympathien sich auf einen neuen Hoffnungsträger richten: Emmanuel Macron. Seine Appelle für eine andere, bessere EU machten Mut. Macron ist das Morgen, May das Gestern. Deutlicher als die Bundeskanzlerin konnte das niemand sagen: Ihr sei die Zukunft der Union wichtiger als die Brexit-Gespräche, betonte Merkel. Die Ohrfeige saß. Tatsächlich markiert dieses Treffen der 28 Staats- und Regierungschefs vielleicht keine programmatische Wende, weil spektakuläre Durchbrüche ausblieben, die Flüchtlingspolitik der Gemeinschaft immer noch ein Desaster bleibt. Aber die Mitgliedstaaten haben den Schock überwunden, der die Briten nun heimsucht, weil immer mehr sich fragen: Was haben wir angerichtet?

Europa ist ob des Ausstiegs zwar immer noch traurig, aber inzwischen weint kaum noch jemand dem Vereinigten Königreich eine Träne nach. Fast schon erleichtert, weil der ewige Bremser London nicht mehr behindert, beschloss man die Verteidigungsunion, bekannte sich zum Freihandel mit der Perspektive für neue Abkommen, klopfte den Kurs beim Klimaschutz fest und begann schon mal mit den Vorbereitungen, um die lukrative Beute des britischen Ausstiegs in Form zweier attraktiver EU-Agenturen zu verteilen.

Die Scheidung muss erst noch vollzogen werden, die Trennung aber hat längst stattgefunden. May wurde zurückgelassen, während die Karawane bereits auf dem Weg zu neuen Ufern aufgebrochen ist. In wenigen Tagen werden die europäischen Staats- und Regierungschefs am Sarg des verstorbenen deutschen Kanzlers Helmut Kohl neue Schwüre für die Gemeinschaft ablegen. Theresa May dürfte schweigen und in tristen Vorahnungen versinken. Der Brexit, so schien es auf diesem Gipfel, wird tatsächlich zum Erfolgsmodell, wie May oft behauptet hat. Aber für die anderen.

Selbst in Warschau, Prag, Bratislava und Budapest spüren die Verantwortlichen, dass ihnen die Macht zum Ausbremsen  der EU entgleitet. Die vier Regierungschefs wissen, dass in den Schubladen ein künftiges Modell der EU schlummert, das im zweiten Halbjahr offen diskutiert werden wird: eine Union unterschiedlicher Geschwindigkeiten. Eine Vorahnung gab es schon in diesen Brüsseler Tagen: Auch die Verteidigungsunion wird nicht von allen mitgetragen. Aber die Skeptiker und Gegner konnten das ehrgeizige Projekt nicht stoppen, man ließ sie einfach stehen. Die Botschaft scheint klar: Wer Europa aufhalten will, bleibt zurück. Es sieht so aus, als erlebe die Union in ihrem 60. Lebensjahr einen neuen Frühling.

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