Politik Mit Putins Friedhofsruhe ist es in Russland vorbei

Meinung · Russland hat sich von den Knien erhoben!“, triumphiert der Kreml seit Jahren – auch jetzt wieder, da die Fußballwelt auf die WM-Generalprobe Confederations-Cup blickt, wird der neue Stolz auf die Nation beschworen. Auch die Bürger stimmen gelegentlich tatendurstig in die Formel ein. Sie beschreibt weniger Realität denn Wunschbilder und ist das suggestive Mantra hartnäckiger Verkennung von Wirklichkeiten.

Russland hat sich von den Knien erhoben!“, triumphiert der Kreml seit Jahren – auch jetzt wieder, da die  Fußballwelt auf die WM-Generalprobe Confederations-Cup blickt, wird der neue Stolz auf die Nation beschworen.  Auch die Bürger stimmen gelegentlich tatendurstig in die Formel ein. Sie beschreibt weniger Realität denn Wunschbilder und ist das suggestive Mantra hartnäckiger Verkennung von Wirklichkeiten.

Ein aufrichtiges Russland müsste kommunistische Pleite und imperialen Zerfall auf die eigene Kappe nehmen.  Soweit ist Moskau jedoch noch nicht. Nach einem Vierteljahrhundert Durchwursteln steht Russland wieder vor der kritischen Schwelle: Schonungslose Selbstanalyse oder „weiter so!“. Rohstoffe und geographische Dimensionen des Landes erlauben beides. Das Überleben ist nicht bedroht, ohne Reformen droht indes der Gesellschaft der innere Verfall, Degression.

Wladimir Putin bleibt dennoch beim alten Muster. Er fürchtet Veränderung. Im Zwiegespräch mit dem Volk, wie letzte Woche in der TV-Sendung „Direkter Draht“, schwärmt er von arktischen Schätzen, die dem Land auf Jahrzehnte Reichtum sicherten. Einziger Haken: Moskau müsse vor der Gier des Westens auf der Hut sein. Kurzum, Rohstoff und Rüstung auch zukünftig als Lebensbasis.

 Vor zwei Wochen pries Putin vor internationalem Publikum die Heilsaussichten der IT-Branche für die heimische Wirtschaft. Doch andere sind bereits um Längen voraus.    Wladimir Putin ist müde und inspirationslos. Das gleichnamige System stottert. 35 0000 Nationalgardisten wurden im letzten Jahr in Stellung gebracht, falls das System Schwächen zeigen sollte. Der Kreml ist verunsichert, der Führung schlottern die Knie.

Ein Gegner ist aufgetaucht, von dessen Existenz die Kremlkamarilla keine Kenntnis hatte: die Jugend zwischen 15 und 30 Jahren. Zu Tausenden geht sie landauf, landab auf die Straße. Noch hat sie jedoch keine kritische Masse erreicht. Einpeitscher ist der Antikorruptionskämpfer  Alexei Nawalny. Er wurde wie ein Aussätziger behandelt, verurteilt und aus den Medien verbannt. Jetzt will er Kremlchef Putin im März 2018 herausfordern. Das fingierte Wahlgesetz sieht dies nicht vor, es stört ihn aber nicht. Im Gegenteil. Es gebe nur noch zwei politische Zentren – den Kreml und uns, verlautet aus Nawalnys Stab selbstbewusst. Nawalny ist dabei eine ungewollte Schöpfung des Kremls. Als einziger überstand er die Säuberung des politischen Umfelds. Nun setzt er Putin unter Zugzwang und nimmt ihm die Möglichkeit, Demokratie zu imitieren.

Das altersschwache System ist angeschlagen und kann seine Störanfälligkeit nicht mehr verbergen. Mit Putins Friedhofsruhe ist es vorbei. Das politische Gefüge gerät in Bewegung. Nawalny wird den Wahlsieg im März nicht davontragen können. Denn Russland kennt kein System geregelter Machtübergabe. Stattdessen machten angezählte Regenten oftmals folgende Erfahrung: In schweren Stunden verschwand klammheimlich die Entourage. Der Staat löste sich auf.

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