Flüchtlingskinder in Deutschland eingetroffen Die Politik scheut vor echter Hilfe für Flüchtlinge zurück

Die Schreckensbilder mit völlig erschöpften Ärzten in Italien oder den vielen Särgen in New York scheinen stärker zu sein als die traurigen Dokumente vom Flüchtlingselend auf den griechischen Inseln in der Ägäis.

 Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: SZ/Robby Lorenz

Das Coronavirus stellt jedes andere Leid in den Schatten. Selbst wenn es kaum minder dramatisch ist. Wohl über 40 000 Menschen harren gegenwärtig auf Lesbos, Chios und Samos aus. Davon allein rund die Hälfte im Lager Moria, das eigentlich nur für 3000 Schutzsuchende ausgelegt ist. Ihre Unterkünfte sind genauso katastrophal wie die hygienischen Bedingungen in den Camps. Dass Corona dort nicht bereits in großem Stil wütet, grenzt fast an ein Wunder. Aber so wird es nicht bleiben. In dieser Situation durften nun wenigstens ein paar Dutzend betroffene Minderjährige weiter nach Europa reisen. Doch das ist kein Grund, darauf politisch stolz zu sein.

Seit Jahr und Tag wird in der Europäischen Union über einen Verteilungsmechanismus für Flüchtlinge gestritten. Vor allem osteuropäische Mitgliedsländer wie Polen und Ungarn blockieren jede humanitäre Lösung. Unter diesen verfahrenen Umständen war es ein kleiner Fortschritt, dass sich Anfang März zehn EU-Staaten, darunter Deutschland, zur Aufnahme von bis zu 1600 unbegleiteten Kindern und Jugendlichen aus der griechischen Insel-Hölle bereit erklärten. Doch dann kam Corona mit voller Wucht. Und so schottete man sich sogar untereinander ab. Wo aber die Schlagbäume aus Angst vor dem Virus runtergingen, hatten Flüchtlinge erst recht keine Chance auf Zutritt. Bis heute ist der Minimal-Konsens deshalb weitgehend ein Papiertiger geblieben.

Natürlich kann Deutschland nicht alle Flüchtlinge der Welt aufnehmen. Aber es kann mit gutem Beispiel vorangehen. Rund 50 Gerettete sind hier allenfalls der berühmt-berüchtigte Tropfen auf den heißen Stein. Man darf getrost annehmen, dass es ohne Corona auch nicht sonderlich viel mehr gewesen wären. Denn spätestens seit dem Jahr 2015 ist klar: Mit der Flüchtlingsfrage lässt sich allenfalls für die AfD ein Blumentopf gewinnen. Zumindest in der Union würden viele das Thema am liebsten gar nicht erst wieder anpacken. Lange Zeit schien es ja auch tatsächlich keines mehr zu sein. Die Zahl der in Deutschland gestellten Asylanträge ist rapide gesunken, auch weil der türkische Präsident Erdogan im EU-Auftrag die Drecksarbeit erledigt hat. Doch mittlerweile funktioniert dieser Deal nicht mehr. Griechenland jedenfalls ist mit der Flüchtlingssituation auf seinem Territorium schon seit langem überfordert.

Viel wird jetzt schon darüber diskutiert, was sich nach der Corona-Krise alles ändern wird und muss. Von einer neuen Krankenhaus-Politik ist dann häufig die Rede, auch von einer anderen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Das Flüchtlingsdrama kommt nicht vor. Den allermeisten Schutzsuchenden auf den griechischen Inseln der Ägäis bleibt da nur eine ganz bittere Erkenntnis: Sie sind schlicht zur falschen Zeit am falschen Ort.

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