Steuerschätzung in Deutschland Schlecht vorbereitet für die mageren Jahre

Die „fetten Jahre“ sind vorbei. So hatte es Finanzminister Olaf Scholz schon zu Jahresbeginn verkündet. Zieht man die aktuelle Steuerschätzung in Betracht, dann klafft hier scheinbar ein Widerspruch.

 Kopf Vetter

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Foto: SZ/Robby Lorenz

Denn allein der Bund wird zumindest bis Ende 2019 deutlich mehr Steuern einnehmen als noch in der Mai-Prognose kalkuliert. Der Kassenwart profitiert weiter von der guten Beschäftigungslage und den deutlichen Lohnzuwächsen im Land. Auf der anderen Seite muss der Bund absehbar noch weniger Zinsen für seine Schulden berappen. Das vergrößert den Überschuss und dürfte neue Begehrlichkeiten bei Scholzens Kabinettskollegen wecken. Den Befürwortern einer teuren Grundrente könnte die frohe Botschaft von der Steuerfront Auftrieb geben. Doch wäre es kurzsichtig, nur auf neue Sozialausgaben zu sinnen. Dafür wird auch ein solides wirtschaftliches Fundament gebraucht. Hier sind die Vorzeichen allerdings weniger ermutigend.

Nach einer ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ist die Stimmung in den Unternehmen so pessimistisch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Sinkende Ausfuhren und Einbrüche bei den Geschäftserwartungen lassen die Investitionsabsichten sinken. Der Abbau der Arbeitslosigkeit hat sich schon spürbar verlangsamt. Kurzum, die gute Konjunktur ist im Abklingbecken. In dieser Situation müsste die Bundesregierung alles tun, um die Standortbedingungen zu verbessern. Doch bis auf Wortmeldungen des Wirtschaftsministers herrscht hier eher Schweigen im Walde. Dabei wären die finanziellen Spielräume vorhanden, um zum Beispiel eine Unternehmenssteuerreform ins Werk zu setzen. Die letzte ist schon ein Jahrzehnt her. Und was nützt es, wenn sich die Bundesregierung für ihre Investitionsanstrengungen rühmt, wo viele Milliarden davon gar nicht abfließen, weil es an Bau- und Planungskapazitäten mangelt? Natürlich kann sich Scholz das fehlende Personal dafür nicht backen. Aber er kann mit dafür sorgen, dass Genehmigungs- und Planungsverfahren deutlich vereinfacht werden und staatliche Förderprogramme weniger bürokratisch gestrickt sind als jetzt. Wenn von der Idee bis zur Verwirklichung von Straßen oder Brücken Jahrzehnte vergehen, wenn der Ausbau der Windkraft nicht einmal im Ansatz den hehren Klimaschutzzielen gerecht wird, dann ist etwas faul in Deutschland. Vielleicht erinnert sich noch jemand an das so genannte Verkehrswege-Planungs-Beschleunigungsgesetz, das kurz nach der deutschen Einheit eigens für den Osten kreiert wurde. Der politische Geist dafür muss neu belebt werden.

Die Mahnung von Scholz, wonach die „fetten Jahre“ vorbei seien, war sicher nicht verfrüht. Aber der treffende Befund lässt politische Konsequenzen von durchschlagender Wirkung vermissen. Und wenn man sich den Zustand der großen Koalition anschaut – Union und SPD ringen bekanntlich jeweils schwer mit sich selbst – dann ist hier wohl auch keine Besserung mehr zu erwarten.

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