Neues Spitzenduo, neue Probleme SPD setzt auf Bauchgefühl statt Pragmatismus

Das wird die SPD kräftig durchschütteln. Mit der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu ihren Vorsitzenden haben wohl nur die Wenigsten gerechnet. Die Politik ist eben immer noch für eine Überraschung gut.

 Kopf Vetter

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Foto: SZ/Robby Lorenz

Ob die den Sozialdemokraten zum Nutzen gereicht, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Die Genossen haben sich für volles Risiko entschieden. Die Hoffnungen der Partei ruhen jetzt auf einer Frau, die weithin unbekannt ist, und einem Mann, der seine politische Zukunft eigentlich schon hinter sich hatte. Bauchgefühl triumphierte über Pragmatismus. Der Zorn, in der großen Koalition vermeintlich immer zu kurz zu kommen, hat daran sicher entscheidenden Anteil. Ist ja auch einfacher, als sich die eigene Unfähigkeit einzugestehen, geschlossen sozialdemokratische Erfolge wie Grundrente oder Mindestlohn zu vertreten.

Dass es so weit kommen konnte, hat mit dem Niedergang der SPD als Volkspartei zu tun. Man ist zu einer Graswurzelbewegung geworden, die ihre etablierten Führungsleute nur noch leid ist. Zumal diese Führung in den letzten 15 Jahren so oft wechselte, wie man das gemeinhin mit seinen Hemden zu tun pflegt. Eine Folge ist Desinteresse. Nicht nur bei den Wählern, sondern in der SPD selbst. Wenn sich fast die Hälfte der Mitglieder nicht an der Abstimmung beteiligt hat, es ihr also völlig egal ist, wer künftig die Geschicke im Willy-Brandt-Haus lenkt, dann spricht das Bände über den miserablen Zustand der Partei. Und diejenigen, die mitgemacht haben, sind in ihrem Votum praktisch gespalten. 53 zu 45 Prozent zugunsten der Groko-Kritiker, da kann man die Befürworter einer Fortsetzung des schwarz-roten Regierungsbündnisses nicht einfach rechts liegen lassen.

Ob Esken und Walter-Borjans integrierend wirken können, ist jedoch sehr zweifelhaft. Die Groko-Ermüdeten in der Partei erwarten, dass die beiden jetzt liefern. Andererseits wird sich die Union aber nicht auf fundamentale Nachbesserungen des Koalitionsvertrages einlassen, denn auch sie steht unter Druck. Aus diesem Dilemma ist kaum ein Entrinnen. Hat die SPD aber keine triftigen Gründe, das Regierungsbündnis zu verlassen und tut es trotzdem, ist die Gefahr einer weiteren Marginalisierung groß. Mit ihrer Wahlentscheidung hat die SPD-Basis noch ein Problem heraufbeschworen: Olaf Scholz ist für eine Kanzlerkandidatur parteipolitisch verbrannt. Und dass Walter-Borjans oder Esken gleich zum Zugpferd im Wahlkampf werden, ist schon angesichts ihrer bundespolitischen Unerfahrenheit eine abenteuerliche Vorstellung.

Die Mitglieder der SPD haben sich gegen ein „Weiter so“ gewandt. Aber wie weiter? Das steht in den Sternen. Die neuen Vorsitzenden wissen nur, dass die Gegenwart für die SPD schlecht ist. Sie haben aber keinen überzeugenden Plan für die Zukunft. Einstweilen noch nicht einmal für den SPD-Parteitag am kommenden Wochenende in Berlin. Gut möglich, dass die Genossen bald wieder auf der Suche nach neuen Vorsitzenden sind.

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