SPD nominiert Scholz Ein Überraschungseffekt, der es nicht einfacher macht

Das ist zweifellos ein Paukenschlag in der politischen Betriebsruhe der Hauptstadt. Anders als bis eben noch selbst von der Parteispitze zeitlich avisiert, steht Olaf Scholz bereits als Kanzlerkandidat der SPD fest.

 Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: SZ/Robby Lorenz

Der Überraschungseffekt ist den Genossen geglückt. Und offenbar freut man sich dort auch diebisch darüber, „schon auf dem Spielfeld zu stehen, während sich die anderen noch warmlaufen“. So hatte jüngst ein führender Sozialdemokrat frohlockt. Nur, was macht ein Stürmer, wenn der Gegner noch gar nicht aufgelaufen ist? Er steht mehr oder minder nutzlos auf dem Spielfeld herum, und die Gefahr ist groß, dass sich das Publikum zu langweilen beginnt.

Geht es nach Parteichefin Saskia Esken, dann sollte die SPD nach der nächsten Bundestagswahl auch für den Fall in ein rot-rot-grünes Regierungsbündnis eintreten, dass man dort lediglich Juniorpartner wäre. So betrachtet hätten die Sozialdemokraten am Montag nur den Vizekanzlerkandidaten ausgerufen. Doch nicht nur dieser Umstand sollte Olaf Scholz Sorgen bereiten. Nach wie vor hat die Corona-Pandemie das Land fest im Griff. Und nach Lage der Dinge wird das noch über Monate so bleiben, denn ein Impfstoff für den Massengebrauch ist nicht in Sicht. Ausweislich einer aktuellen Forsa-Umfrage halten dann auch drei Viertel der Bundesbürger das Virus und seine Folgen für das wichtigste Thema überhaupt. Der Wahlkampf dürfe damit so ziemlich das Letzte sein, was diese Menschen derzeit umtreibt. Zumal bis zur Wahl noch mehr als zwölf Monate Zeit sind. Politisch eine Ewigkeit. Auch das macht das Geschäft für Scholz nicht einfacher. Bislang ziehen Union und SPD bei der Bekämpfung der Pandemie weitestgehend an einem Strang. Man stelle sich nur vor, Scholz würde als Vizekanzler auf einmal gegen die große Koalition wettern. Konfrontation statt Kooperation. Sofort hieße es, die Regierung zerlegt sich mitten in der Krise. Schwer vorstellbar, dass die SPD auf diese Weise Geländegewinne erzielen könnte.

Genauso schwierig ist allerdings auch die Vorstellung, Person und Programm unter einen Hut zu bringen. Scholz, der Vollstrecker von Hartz IV und Agenda 2010, der Herr der Zahlen, der Hüter der „schwarzen Null“, jedenfalls so lange, bis Corona kam – und so einer soll sich plötzlich für linke Politik begeistern, gar mit Ministern der Linkspartei am Kabinettstisch sitzen wollen? Man braucht allerhand Fantasie dazu, um sich ein solches Szenario auszumalen. Eher ist die Gefahr groß, dass es Scholz so ergeht wie einst Peer Steinbrück bei dessen SPD-Kanzlerkandidatur für die Wahl 2013. Auch der „rechte“ Sozi Steinbrück vermochte mit der linken Programmatik seiner Partei damals kaum zu harmonieren.

Mit Olaf Scholz hat die SPD-Führung sicher den profiliertesten Vertreter der Partei ins Rennen geschickt. Aber der Zeitpunkt und die Umstände sind alles andere als glücklich. Anstatt auf einen kurzen und heftigen Wahlkampf zu setzen, hat man sich für den langen Atem entschieden. Da kann die Luft auch dünn werden.

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