Merkels Warnung vor zu schnellen Lockerungen Politik muss Ungeduld und Unvernunft in Schach halten

Sehnsüchtig gucken die Menschen jeden Tag auf den Verlauf der Infektionskurve, noch sehnsüchtiger warten sie auf Fluchtmöglichkeiten aus der staatlich verordneten Quarantäne. Manche Medien und manche Politiker reiten auf dieser Welle.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Nachdem die Suche nach dem härtesten Kontaktunterbinder vorbei ist (Sieger: Markus Söder), dreht sich der Wettbewerb nun um den schnellsten Liberalisierer. Hier bewirbt sich Armin Laschet. Die so abrupte wie engagierte Warnung von Angel Merkel vor einer „Öffnungsdiskussionsorgie“ dürfte vor allem auf die CDU und ihren Wirtschaftsflügel gemünzt sein. Aber auch AfD und FDP haben das Thema entdeckt.

Freilich, einen Teil dieser Debatte haben sich die Kanzlerin und ihre Regierung selbst zuzuschreiben. Letzte Woche wurde nicht vordringlich kommuniziert, dass bis zum 3. Mai weiter das Prinzip gilt, möglichst wenig rauszugehen, weil die Lage dramatisch ist. Sondern wohin man nun bald wieder darf. Es wurden Hoffnungen geweckt. Deshalb sah sich Merkel jetzt genötigt, wieder massiv auf die Bremse zu treten.

Die Sorglosigkeit vieler Bürger hat im Vorgriff auf zu erwartende Lockerungen tatsächlich sofort wieder zugenommen, mit ihr die Unvernunft. Es ist wie mit dem kleinen Finger, den man gibt, und der ganzen Hand, die genommen wird. Nun glauben alle, der Gipfel der Pandemie sei bereits überschritten und die Kurve neige sich von alleine gen Null. Dem ist jedoch nicht so. Da draußen gibt es, Stand Montag, rund 50 000 akut Infizierte, Dunkelziffer wahrscheinlich weit höher. Das ist viel mehr als vor einem Monat. Und diese 50 000 würden alle wieder zwei oder drei andere Menschen anstecken, wenn es keine Einschränkungen gäbe. Dann begänne alles von vorn. Nichts aber wäre schlimmer, als wenn nach dem kurzen Frühling der Hoffnung ein neuer, kompletter Shutdown erfolgen müsste.

Ungeduld und Unvernunft der Menschen in Schach zu halten, das ist die wahrlich nicht leichte Aufgabe der Politik, und sie verdient dabei Unterstützung. Freilich muss sie ihre Maßnahmen jederzeit öffentlich überzeugend erklären, woran es noch hapert. Auch wurde bisher nicht deutlich, wie der Weg zu einer besseren Kontrolle des Infektionsgeschehens aussieht, inklusive App, um von der allgemeinen Quarantäne des ganzen Landes übergehen zu können zu einer gezielten Quarantäne der Betroffenen und ihres Umfeldes. Außerdem müssen alle Öffnungsschritte genauso widerspruchsfrei und konsequent sein, wie es die Einschränkungen waren. Auch das gelingt nicht immer. So ist die Flächengrenze von 800 Quadratmetern für Läden willkürlich. Und warum dürfen Biergärten und Hotels nicht aufmachen, wenn sie das Abstandsgebot einhalten, warum keine Gottesdienste abgehalten werden? Um nur einige Themen zu nennen.

Das Krisenmanagement der Länder und des Bundes ist bisher zwar nicht schlecht. Aber noch lange nicht gut genug, um die Debatten nachhaltig beruhigen zu können.

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