Leitartikel Merkel, Merz und das Messias-Phänomen

Lars Klingbeil nennt es das „Messias-Phänomen“ und zählt auf:  Christian Lindner für die FDP, Robert Habeck bei den Grünen, womöglich Friedrich Merz bei der Union. Tatsächlich scheinen charismatische Führer wieder stärker gefragt zu sein.

Merz, Lindner, Habeck, Schulz und andere zeigen: In der Politik sind wieder starke Männer gefragt
Foto: SZ/Roby Lorenz

Leute, die gut reden können, die kantig sind und die von außen kommen. Klingbeil hat auch Martin Schulz genannt, den Ober-Messias der jüngeren Zeitgeschichte, der ihn selbst in das Amt des SPD-Generalsekretärs brachte. Das Beispiel Schulz zeigt freilich, dass nicht jeder schon ein Messias ist, der sich auf den Weg nach Jerusalem macht. Und in der FDP dämmert seit der Aufkündigung von Jamaika auch so manchem, dass es vielleicht doch nicht so klug war, nach Guido Westerwelle schon wieder einem Vorsitzenden so blind zu folgen.

Aber in der Tat ist nicht zu übersehen, dass zwei Trends die Politik prägen: Personalisierung und Polarisierung. Dies ist die Zeit der starken Führer und der starken Sprüche. Merkel geht, Merz kommt, vielleicht. Auch international ist es nicht anders. Macron, Trump, Erdogan, Putin, Salvini – starke Männer braucht die Welt.

Braucht die Welt diese Männer wirklich? Charismatische Wahlkämpfer und Wahlkämpferinnen sind natürlich nötig, auch da, wo es keine direkte Personenwahl gibt. Je zersplitterter die Kommunikationsstrukturen sind, umso wichtiger wird das Gesicht. Umso wichtiger wird auch eine Gegenüberstellung von inhaltlichen Alternativen. Daran hat es nach so vielen Jahren der großen Koalition gefehlt. Auch das erklärt das Phänomen. Am Ende aber geht es nicht ums Gewähltwerden, sondern ums Regieren. Darum, das Land voranzubringen. Und das erfordert andere Fähigkeiten.

In Deutschland zum Beispiel werden künftig wahrscheinlich immer drei Parteien miteinander koalieren müssen – oder sogar mehr. Plus Bundesrat. Basta-Reden helfen da nicht, auf den Tisch zu hauen schmerzt nur die eigene Hand. Auch in den anderen Demokratien kommen die starken Männer schnell an diese Grenze – und scheitern, wenn ihnen die Fähigkeiten abgehen, die scheinbar schwächere Mitbewerber oft haben: Empathie für die Minderheit, Kompromissfähigkeit und politische Weitsicht. Gefragt ist also beides: Charisma und ausgleichender Charakter. Über Autokraten braucht man in diesem Zusammenhang nicht zu reden.

Legt man nun diese Kriterien an die Kandidaten um Merkels Nachfolge, sieht die Sache schon anders aus. Dann rückt Annegret Kramp-Karrenbauer mindestens gleichauf mit Merz, und dann muss dieser noch ziemlich viel tun, um die Basis davon zu überzeugen, dass er mehr ist als nur ein Zampano. Und dann bleibt Jens Spahn nur der frühzeitige, ehrenvolle Rückzug, mangels Masse bei beiden Kriterien.

Die SPD hat ein ganz anderes Personalproblem. Es liegt in der schlichten Tatsache, dass weder Andrea Nahles noch Olaf Scholz bisher die in sie gesetzten Erwartungen einer Profilierung der Partei in der großen Koalition erfüllen konnten. Hier geht es nicht um Charisma, hier geht es um eine nicht erbrachte Leistung.

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