Europas Anführer Macrons Kampf für Europa verdient Respekt

Der Auftritt von Emmanuel Macron vor dem Europaparlament hat eines gezeigt: Europa kann durchaus lebendig und spannend sein. Redner aus Griechenland und Ungarn, den Niederlanden und Deutschland diskutierten mit dem französischen Präsidenten über eine breite Palette an Themen – von der Ostsee-Pipeline bis zum Westbalkan. Mal laut, mal aggressiv, mal lobend. Und Macron saß in der ersten Reihe und hörte allen zu. Wie ein geduldiger Psychotherapeut, bei dem ein ganzer Kontinent auf der Couch liegt. Dabei passt die Rolle des Therapeuten eigentlich gar nicht zu dem 40-Jährigen. Er sieht sich eher als Architekt, der das Haus Europa wetterfest machen will. Gegen die Stürme der nächsten Finanzkrise, aber auch gegen den Populismus, der wie Fäulnis in den eigenen vier Wänden sitzt. Zahlreiche Maßnahmen hatte er dafür in seiner Rede an der Sorbonne vor einem halben Jahr vorgestellt.

Europas Anführer: Macrons Kampf für Europa verdient Respekt
Foto: SZ/Robby Lorenz

Bewegt hat er mit seinen Ideen bisher aber nichts. Keines der Mitgliedsländer wollte zur Maurerkelle greifen und die Bauarbeiten beginnen. Genau deshalb kam Macron jetzt nach Straßburg: Er wollte die Abgeordneten von seinem Anliegen überzeugen. Ein Schritt zurück also, um die Gefahren aufzuzeigen, die der EU drohen, wenn sie nichts unternimmt. Der Präsident war sich nicht zu schade, über Stunden mit den Abgeordneten zu debattieren. Nicht gelangweilt, sondern mit viel Engagement. Er hat inzwischen erkannt, dass die Erneuerung Europas mühevolle Kleinarbeit ist. Vor allem, weil Macron kaum Verbündete für sein Anliegen findet.

Deutschland, das er zum Partner auserkoren hat, schaut eher auf die eigenen Interessen als auf das große Ganze. Großbritannien fällt vollständig aus, Spanien ist mit sich selbst beschäftigt und Italien hat noch nicht einmal eine Regierung. Die Nordeuropäer signalisierten bereits, dass sie die französischen Vorschläge nicht mittragen werden. Der „nächste Anführer Europas“, den das Magazin „Time“ bereits in Macron sah, könnte zum einsamen Mann des Kontinents werden.

Doch der Präsident gibt nicht auf. Er schaut eher nach den Horizonten als nach den roten Linien. Deshalb setzt er sich nach seiner Rede im Europaparlament in einer Kleinstadt in den Vogesen in ein Kongresszentrum, um mit seinen Landsleuten über die EU zu reden. Sicher, man kann über diese Bürgerdialoge lächeln. Graswurzelromantik, die wenig mit den Entscheidungen in Brüssel zu tun hat. Aber Macron hat Recht: Die EU braucht mehr Demokratie. Mehr Attraktivität, die die Wähler auch wieder an die Urnen bringt. Der Präsident wendet sich an die EU-Bürger, so wie er sich vor einem Jahr an die Franzosen gewandt hat.

Damals gewann er die Wahl aus einer aussichtslosen Position heraus. Ob seine Strategie ein zweites Mal Erfolg hat, wird sich zeigen. Doch die Beharrlichkeit Macrons verdient Respekt. Er werde weitermachen, kündigte er in seiner Rede an der Sorbonne an. Gut so. Denn Europa braucht einen, der sich nicht entmutigen lässt.

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