Leitartikel Mit sozialer Gerechtigkeit hat diese Lösung wenig zu tun

Rund ein Jahrzehnt lang hat die Berliner Politik an einer Verbesserung der Altersbezüge für vormalige Niedrigverdiener gewerkelt. Zwei Bundesregierungen sind daran gescheitert. Mal standen politisch-taktische Hürden im Weg, ein anderes Mal technische Probleme.

 Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: SZ/Robby Lorenz

Der amtierenden großen Koalition gelang nun eine Lösung, die tatsächlich auch ins Gesetzblatt kommt. Insofern hat die gestrige Abstimmung im Bundestag durchaus das Prädikat „historisch“ verdient. Was lange währt, wird allerdings nicht automatisch gut. Und das ist der große Wermutstropfen.

Die SPD feiert den Durchbruch als Meilenstein im Kampf gegen Altersarmut, als Ausdruck für den „Respekt vor Lebensleistungen“. Sie heftet sich den Erfolg ans Revers. Dabei gehört es zur Ironie der Geschichte, dass es die Union war, die das Vorhaben im Grundsatz überhaupt erst auf die politische Agenda setzte: Schon die frühere CDU-Sozialministerin Ursula von der Leyen hielt es für ein Gerechtigkeitsproblem, dass Niedrigverdiener oft nur mit einer Rente unterhalb des Grundsicherungsniveaus vorliebnehmen müssen. Schnell erwuchs daraus ein politischer Arbeitsauftrag: Wer lange Jahre gearbeitet und dabei in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll im Alter besser dastehen, als jemand, der kaum oder gar nicht gearbeitet hat und deshalb staatliche Stütze kassiert. Wahrlich ein guter Vorsatz. Nur an der Umsetzung haperte es. Von der Leyens „Zuschussrente“ scheiterte genauso wie die „Solidarrente“ ihrer SPD-Nachfolgerin Andrea Nahles.

Nun wird das Zauberwort „Grundrente“ zum Gesetz. Doch schon der Name führt in die Irre. Die Grundrente ist eben längst kein armutsfester Sockelbetrag für alle, über den sich angesichts des riesigen Niedriglohnsektors im Land diskutieren ließe. Selbst viele derjenigen, die wegen ihrer Mini-Renten zusätzlich auf Grundsicherung angewiesen sind, gehen leer aus, weil sie die gesetzliche Voraussetzung von mindestens 33 Beitragsjahren nicht erfüllen. Das betrifft vor allem Langzeitarbeitslose und Erwerbsgeminderte, Menschen also, die es im Alter am Nötigsten hätten. Umgekehrt profitiert aber auch, wer ein stattliches Vermögen auf der hohen Kante hat. Denn danach wird bei der Berechnung der Grundrente nicht gefragt. Obendrein spielt es keine Rolle, ob Betroffene verkürzt oder voll gearbeitet haben. Ein gut bezahlter Teilzeitjob über mindestens 33 Arbeitsjahre kann zum Rentenzuschlag führen, ein schlecht bezahlter Vollzeitjob über 32 Berufsjahre nicht. Mit Respekt vor Lebensleistungen hat das wenig zu tun, mit sozialer Gerechtigkeit genauso wenig.

Dass sich die Union auf diese Lösung am Ende eingelassen hat, obwohl in der Koalition ursprünglich ein zielgenaueres Modell zugunsten der wirklich Bedürftigen verabredet war, lässt sich wohl nur mit dem lapidaren Umstand erklären, das Thema noch vor dem heraufziehenden Bundestagswahlkampf abräumen zu wollen. Vieles spricht jedoch dafür, dass die Grundrente irgendwann auf Wiedervorlage kommt. Sie hält nur unzureichend, was sie verspricht

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