Leitartikel zur Bündnismitgliedschaft der Türkei Kein Nato-Beistand und keine Waffen für Erdogan

Wenn es nach dem Wortlaut des Nato-Vertrages ginge, dann gehörte die Türkei schon lange nicht mehr in das Verteidigungsbündnis. Dazu bedurfte es nicht erst des völkerrechtswidrigen Einmarsches in Nordsyrien.

Leitartikel zur Nato-Mitgliedschaft: Kein Beistand keine Waffen für Erdogans Türkei
Foto: SZ/Roby Lorenz

„Frieden“, „Herrschaft des Rechts“, „Demokratie“ – mit diesen Werten aus der Präambel hat die Regierung Erdogan, die zehntausende Regime-Gegner inhaftiert hat, nichts gemein. Dass SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Nato-Mitglied­schaft des Landes infrage stellt, ist daher mehr als verständlich. Aber auch ziemlich sinnlos. Der Vertrag kennt keinen Mechanismus, ein Mitglied auszuschließen. Es müsste schon selbst gehen. Zudem waren der Nato auch schon andere Diktaturen willkommen, Portugal etwa unter António Oliveira de Salazar.

Allerdings, die anderen Nato-Staaten könnten von sich aus nun ebenfalls Bestimmungen des Vertrages gegenüber der Türkei verletzten und so einen Austritt Ankaras provozieren. Das sollten sie tun. Es wäre nicht schade um dieses Mitglied, das einst zur gemeinsamen Verteidigung gegen den Kommunismus gebraucht wurde und jetzt nur Probleme macht. Der Waffenexport-Stopp durch die meisten Nato-Mitglieder aus der EU ist ein richtiger Ansatz und sollte dauerhaft gelten. Die Bundeswehr sollte zudem ihre Ausbildungskooperation mit der türkischen Armee beenden. Außerdem sollten die europäischen Nato-Mitglieder Erdogan sehr deutlich machen, dass er sich nicht auf die Beistandspflicht berufen kann, falls er im Gegenzug seiner aggressiven Vorstöße in der Region angegriffen werden sollte. Von wem auch immer.

Es gibt bei einer solchen Strategie natürlich das Risiko, die Türkei noch mehr in die Arme Moskaus zu treiben. Schon jetzt kooperieren beide Staaten in Nordsyrien und versuchen dort, zu Lasten der Kurden jenen Platz einzunehmen, den die USA so leichtfertig hergegeben haben. Das ist das Spannungsverhältnis, in dem auch Außenminister Heiko Maas am Wochenende bei seinem Besuch in Ankara agieren muss. Dass Erdogan Millionen syrische Flüchtlinge loslassen könnte Richtung Europa, ist da noch das geringste Problem.

Andererseits ist Erdogan nicht so stark, wie er sich gibt. Russland und die Türkei werden so schnell keine echten Freunde, weil sie im Kaukasus miteinander konkurrieren. Außerdem kann Moskau der Türkei wirtschaftlich praktisch nichts bieten. Allenfalls einer kleinen Clique, die sich mit Öl- und Gastgeschäften bereichert, nicht aber der Masse der Türken. Die sieht ihre wirtschaftliche Zukunft nach wie vor in einem guten Verhältnis zu Europa, zumal viele von ihnen Verwandte auf dem Kontinent haben.

Hier muss Europa ansetzen. Je mehr die militärischen Kontakte eingefroren werden, desto stärker sollten die zivilgesellschaftlichen werden. Visa-Erleichterungen gerade jetzt wären dafür ein Zeichen. Wirtschaftssanktionen hingegen wären kontraproduktiv, weil sie das Regime nur sehr verzögert träfen. Die Kommunalwahlen in Istanbul haben gezeigt, wie dünn die Machtbasis Erdogans ist. Irgendwann geht seine Herrschaft vorbei. Dann sollte Europa da sein – und nicht Putin.

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